Liebe Leser,
ich weiß, durch einen technischen Fehler ist ein Teil dieser Mail schon an einige Leser gestern rausgegangen. Sorry, die sollten das über China auch noch mal lesen, weil ich den Text inzwischen erweitert habe.
Nun erstmal in den Fernen Osten. Dass Chinas Investitions- und Bauboom den Höhepunkt überschritten hat, zeigt sich an einer simplen Kennzahl: der Produktion von Zement. Schon 2014 erreichte sie mit fast 2,5 Milliarden Tonnen nach amtlichen Angaben aus Peking ihren Höhepunkt und lag letztes Jahr mit leicht über zwei Milliarden Tonnen ein Fünftel darunter. Das ist dann allerdings immer noch nahezu die Hälfte dieses weltweit hergestellten Baustoffs.
Nur mal so zum Vergleich: das staatliche „U.S. Bureau of Mines“ in Washington schätzt die amerikanische Zementproduktion auf rund 90 Millionen Tonnen – keine fünf Prozent des chinesischen Vergleichswertes. Und bei Zement spielt wegen des unglücklichen Verhältnisses von Gewicht und Wert der Außenhandel nur eine untergeordnete Rolle.
Heißt: die Chinesen haben wie wild Zement im eigenen Land verbaut und nun geht es seit fast einem Jahrzehnt bergab. Wobei es 2021 noch einmal einen weiteren Gipfel gab, wohl ein Nachholeffekt im Anschluss an die erste große Coronawelle 2020. Schauen wir uns das im Detail an. Der aussagekräftige Vier-Quartale-Durchschnitt lag damals in der Spitze bei 631 Millionen Tonnen im 2. Quartal 2021. Der letzte Wert im 4. Quartal 2023 war dann 20 Prozent niedriger. Das sind dann immer noch fast 170 Millionen Tonnen im Monatsdurchschnitt – gut fünf Mal die Jahresproduktion der 54 deutschen Zementwerke.
(Quelle: https://www.vdz-online.de/zementindustrie/zahlen-und-daten/zementindustrie-in-deutschland und: https://www.google.com/search?q=co2+je+tonne+Zement&oq=co2+je+tonne+Zement&gs_lcrp=EgZjaHJvbWUyBggAEEUYOdIBCTE2Mzk4ajBqN6gCALACAA&sourceid=chrome&ie=UTF-8#vhid=0wJlMOg69uap7M&vssid=l und: https://www.fr.de/politik/waermepumpen-klimaschutz-heizungen-check-gruene-92206448.html )
Im laufenden Jahr wird sich der chinesische Abwärtstrend beim Zement wohl eher verstärken als abschwächen, denn der Wohnbau ist bekanntlich schwer eingebrochen und Peking macht keine Anstalten, den Infrastrukturboom neu anzufachen.
Lassen Sie uns mal ganz kurz mit einem Beispiel spielen, was das bedeutet. Vom Topstand 2014 bis 2023 fiel die Zementproduktion im Reich der Mitte um gut 450 Millionen Jahrestonnen. Das senkte den jährlichen CO2-Ausstoß dort um und bei 270 Millionen Tonnen (Faustregel: eine Tonne Zement=0,6 Tonnen CO2). Gar nicht mal so hämisch gemeint wie es klingen mag: Habecks heiß umkämpftes Gebäudeenergiegesetz (Stichwort: „Wärmepumpe“) könnte nach Ansicht seines Ministeriums 2030 vielleicht jährliche 10 Millionen Tonnen einsparen. Soll nur mal die Dimensionen aufzeigen, über die wir da reden.
Themenwechsel von Chinas Baustellen in Ihre Küche. Ich bin mir fast sicher, den einen oder anderen Leser habe ich mit meinen Risiko- und Warnhinweisen zu den Corona-Profiteuren am deutschen Aktienmarkt genervt. Zu gewagt erschien mir die These der Börsianer, die veränderten Gewohnheiten während der Ansteckungsgefahr würden zu dauerhaft anderen Geschäftsmodellen Anlass geben.
Nicht mehr Mutti würde zum Beispiel zum Kochen einkaufen gehen, sondern sich Rezept und Zutaten einfach regelmäßig bei HELLOFRESH bestellen. Zunächst schien es nicht so und konnte mancher Euro verdient werden, aber sehen Sie selbst, was kursmäßig aus den Blütenträumen geworden ist.
(Quelle: Finenzen.net, https://www.finanzen.net/analysen/hellofresh-analysen?p=1 )
Am Montagmorgen hat eine Analyse der Großbank UBS deren Aktionäre geschockt. Denn in ihr wird das Marktumfeld für den Kochboxenanbieter weiter als schwierig angesehen. Analyst Jo Barnet-Lamb glaubt zudem, dass bei den am 15. März anstehenden Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr 2023 eher ein enttäuschender Ausblick zu erwarten ist. Zwar erholte sich das Papier am Dienstag von einem leicht zweistelligen Niederschlag etwas, aber der eben gezeigte Chart sieht schon verheerend aus.
Bisschen ulkig nur: nie zuvor hatte sich UBS beim Aufschwung und Abschwung mit dem Papier zuvor befasst, als am 22. November 2023 bei knapp 15 Euro die Beobachtung aufgenommen und mit einem Kursziel von 14 Euro gleich mal zum Verkauf geraten wurde. Dabei blieb es auch bei einem neuen Hinweis einen Monat später. Und nun soll das Kursziel laut Studie nur noch bei 11,50 Euro liegen.
Das wurde dann schon innerhalb der Börsensitzung nach Veröffentlichung erreicht und unterschritten. Im Tief erreichte die HELLOFRESH-Aktie mit 11 Euro den niedrigsten Stand seit dem Vor-Corona-Jahr 2019. Die späte Warnorgie nach über 80 Prozent Kursverlust sieht mir aber sehr nach einer Gefälligkeit für die vielen Fonds aus, die bei dem Papier auf sinkende Kurse spekulieren.
HELLOFRESH gehört zu deren bevorzugten Leerverkaufs-Kandidaten. Dabei leiht man sich eine Aktie, erhofft einen niedrigeren Rückkaufkurs und gibt sie dann an den Verleiher zurück. Klar, dass man dann Interesse an schlechten Nachrichten und halt Analysen hat. Nun ganz so schnell geben die HELLOFRESH-Skeptiker nicht auf: am Dienstag gelang mit fast 13 Prozent Plus erst Mal ein hübsches Comeback. Da steht die Schlacht diese Woche erst mal unentschieden.
Zum Schluss noch ein Anekdötchen. Als alter weißer Mann liest man solche Geschichten gerne. Als Roberto Brazzale für seinen italienischen Molkereibetrieb, einen der ältesten des Landes, die Produktpalette um spezielle Feinschmecker-Butterprodukte erweitern will, sucht er nach einsatzfreudigen Mitarbeitern.
Einige Kandidaten, die so um die 30 sind, lädt er zum Probearbeiten in seinen Betrieb ein. Doch die lassen Tatkraft und Energie vermissen, wie sich der Milchexperte erinnert. Nach einer Weile hat er dennoch ein neues Team beieinander: acht Männer und Frauen ab 60 Jahren aufwärts. „Für mich sind sie alle irgendwie jung, denn das Alter zählt nichts im Vergleich zum Enthusiasmus und auch zur Energie, die man mit über 60 Jahren noch haben kann“, zeigt er sich mit denen rundherum zufrieden.
Und der mit seinem Bruder das bekannte Traditionsunternehmen in Zanè in der norditalienischen Region Venetien leitende Chef ergänzt volles Lob: „Sie haben eine ganz andere Erfahrung als die Jungen. Sie haben verstanden, wie wichtig die Arbeit ist. Wenn man jung ist, versteht man das nicht – man versteht es erst später“, so Brazzale, der selbst Anfang 60 ist.
Glück für den wackeren Seniorenfreund: das Potential der ab 60-jährigen Italiener wächst immer weiter an. Per 1. Januar 2023 hatten nach Angaben der römischen Statistikbehörde IStat bereits 31 Prozent der Bewohner des Stiefelstaats die Fünfziger-Lebensjahre hinter sich gelassen: Ende dieses Jahres wird der Anteil wohl auf 32 Prozent gestiegen sein.
Das ist doch ein breites Reservoir an begeisterungsfähigen Arbeitnehmern. Die sind jedenfalls noch nicht so stark von der hochinfektiösen Seuche der Work-Life-Balance-Jünger infiziert. Aus meiner Sicht lachhaft, wenn einer gerade die Uni überstanden hat und von einem ausgewogenen Karriereweg mit viel Freizeit schwafelt. Bei einer erwarteten dicken Rente sind dann die Fleißigen und die Faulen wieder traut vereint.