Liebe Leser,
man kann in Börsenjournalen oder Bankstudien jährlich darauf warten, dass ein uralter Spruch wieder auftaucht: „Sell in May and go away“. Wenn man will kann man noch die Ergänzung hinzufügen: „but remember to come back in September.“ Übersetzt soll das eine steinalte Weisheit ergrauter Börsianer sein, nach der es ratsam wäre, im Mai bei Aktien aussteigen und erst im September wieder einzusteigen.
Und Sie werden lachen, wenn man den weltberühmten Dow Jones über die ganze Länge seiner Berechnung – also seit 1897 – nimmt, dann scheint sogar was dran zu sein: die Jahreshälfte von November bis zum nächsten April fällt mit ihren Kurssteigerungen gut doppelt so gewinnbringend aus wie der Rest von Mai bis Oktober. So einfach kann das Börsianerleben sein.
Für den langen Zeitraum errechnet sich von Ende Oktober bis Ende April ein durchschnittlicher Kursanstieg von 5,2 Prozent, für den Rest von nur 1,9 Prozent. Die Dividenden wären – anders als beim Performance-Index DAX – beim Dow noch hinzugekommen. Nun ja, Sie ahnen es vielleicht schon, so simpel kann die Welt nicht sein, sonst wäre ja jeder Börsianer der lesen kann superreich. Des Rätsels Lösung: um den Effekt richtig nutzen zu können, hätten Sie auch 126 Jahre anlegen müssen. Denn die obige Weisheit kann auch schon mal ein paar Jahrzehnte lang weniger gut hinhauen.
Nehmen wir den Oktober als Beispiel, der wegen einiger dicker Börsenunfälle wie 1907 (-14,8 Prozent), 1929 (-20,4 Prozent), 1932 (-13,5 Prozent), 1987 (-23,2 Prozent) oder 2008 (-14,1 Prozent) als besonders gefährlich gilt. In 57 Prozent aller Fälle produzierte dieser vermeintliche Horrormonat im Schnitt und Gegensatz zu seinem üblen Ruf ein Kursplus. Und kam insgesamt wenigstens noch auf einen durchschnittlichen Gewinn von knapp 0,3 Prozent. Nimmt man die fünf genannten Superreinfälle raus, lag der Anstieg gar bei gut einem Prozent und damit nicht mal so übel.
Aber was geht mich dieser alte Kram und Amerika an, ich habe eher deutsche Aktien, werden Sie vielleicht denken. Bitte sehr, ich präsentiere Ihnen auch dazu eine Grafik und diesmal für einen Zeitraum, den viele von Ihnen miterlebt haben. Für den Dezember 1987 wurde der DAX, damals aus 30, heute aus 40 Spitzenwerten, mit 1.000 als Basis berechnet. Er beinhaltet als Performance-Index im Gegensatz zum Dow auch die gezahlten Dividenden.
Inzwischen hat er sich in 35 Jahren mehr als verfünfzehnfacht. Aber wie ging es dabei saisonal zu? Auch dank der gezahlten Ausschüttungen gab es in Deutschland im Schnitt überhaupt nur zwei jährliche Verlustmonate: den August und September. Und zu deren trüben Werten haben dem Index stark folgende Jahre verholfen: 1990 (beide zusammen: -30 Prozent), 1998 (-24 Prozent), 2001 (-26 Prozent), 2002 (-25 Prozent), 2011 (-23 Prozent) und 2015 (- 15 Prozent). Rechnet man diese Jammerjahre heraus, wären die beiden Monate auch fast ausgeglichen gewesen, also nahe null Verlust.
Da der Juli hierzulande, aber auch wie oben zu sehen in den USA, ein recht guter Börsenmonat ist, könnte man den Sell-in-may-Spruch bei uns allenfalls abgemildert als Statistikweisheit gebrauchen: verkaufe im Juli und kauf‘ im September. Das klingt irgendwie nach den Sommerferien als Grund des Übels.
Und in der Tat soll der Ursprung des „Sell in may“ eine Angewohnheit reicher Anleger gewesen sein. Die begaben sich angesichts der bevorstehenden Sommerhitze gerne Mitte des Jahres auf ihre Landsitze und kehrten erst im Herbst in die Stadt zurück. Klar, dass man weit vom Schuss nicht gerne auf Bergen von Aktien saß. Da machte es Sinn, vorher die Bestände zu lichten und später zurückzukaufen.
Kurz noch ein anderes Thema. Die Zeitungen des SPRINGER-Konzerns jubeln: „Für die Grünen läuft es immer schlechter. Der zweitgrößte Ampel-Partner ist in der Wählergunst auf den tiefsten Stand seit Dezember 2021 gerutscht.“ Sie berufen sich dabei auf eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag der BILD an Sonntag.
(Quelle: BILD, 30.4.23, https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/niedrigster-stand-seit-dezember-2021-gruene-rutschen-immer-tiefer-in-umfrage-kri-83743098.bild.html )
Nun bin ich nicht gerade als Busenfreund der GRÜNEN bekannt. Aber da muss man die Kirche im Dorf lassen. Zunächst einmal: die Meinungsforscher passen ihre Ergebnisse immer ein wenig mit unbekannten Ausgleichsfaktoren wie etwa „traditionelles Wahlverhalten“ an. Da liegt dann gerade bei relativ niedrigen Prozentwerten die Verlockung nahe, einfach mal einen Prozentpunkt draufzulegen oder abzuziehen, um die gemeldete Veränderung etwas spannender zu machen.
Nun ist der Anlass für die lustige BILD-Überschrift ein Rückgang der GRÜNEN-Werte bei INSA um gerade mal einen halben Prozentpunkt (14,5 auf 14 Prozent). Und das ist dann von acht Instituten, die ich verfolge, das niedrigste Ergebnis, Kantar (früher Emnid) und Forsa liegen zum Beispiel bei 16 Prozent und damit zwei Prozentpunkte höher.
Schauen Sie sich zudem mal an, wie diese Umfrageergebnisse auch bei einem etwas bedächtigeren Institut – gerade in letzter Zeit – schwanken. Tatsache ist: bei ihnen liegen die aktuellen Zahlen noch über dem Abschneiden bei der letzten Bundestagswahl von 14,8 Prozent und um ein Drittel über dem langjährigen Durchschnitt von 12 Prozent.
(Quelle: Wahlrecht.de, 30.4.23, https://www.wahlrecht.de/umfragen/index.htm und: https://www.forschungsgruppe.de/Aktuelles/Politbarometer/ )
Mehr unter Druck stehen dürfte allerdings Wirtschaftsminister Robert Habeck. Der hat mit seinen geplanten Gesetzen für das Wählervolk nicht gerade Schönes zu verkünden (zum Beispiel: Ende der Gasheizungen) und steht mit seiner ministerialen Vetternwirtschaft in der Kritik. Schon im Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vom 21. April war er auf der Beliebtheitsskala deutscher Politiker auf den schlechtesten Wert abgerutscht, seit er dort erstmals zu den Top Ten gerechnet wurde.
(Quelle: ZDF, 21.4.23, https://www.zdf.de/politik/politbarometer/230421-politbarometer-102.html )
Das wird inzwischen wohl nicht besser geworden sein. Aber auch da gilt: der ist immer noch die Nummer vier unter den beliebtesten Politikern. Mir ein Rätsel, aber solche Ergänzungen gehören halt auch dazu.