Liebe Leser,
jetzt ist es also mit allen Vorgesprächen, Erpressungen, Bundestag, Bundesrat und Unterschrift des Bundespräsidenten durch: das Billionenpaket der noch gar nicht amtierenden Vielleicht-Regierung. Und vom Comedian, über das Heer der Fachleute, bis zum Stammtisch wird es – ziemlich kritisch – bekakelt. Gerne ist dabei von den Belastungen zukünftiger Generationen die Rede, weil das so ein schön anschauliches Bild ist: die Eltern verjubeln das Geld und die Enkel und Urenkel ächzen unter der Schuldenlast.
Aber meines Erachtens ist das eine – zumindest zweifelhafte – Simpelfrage. Denn was würde es denn unseren Nachfahren nutzen, wenn wir ihnen einen blitzsauberen Haushalt hinterlassen, aber Nachfolger von Wladimir Putin in den Berliner Ministerien sitzen würden und alle Brücken längst zusammengebrochen wären? Und ist es wirklich richtig, dass Deutschland gemessen an der Wirtschaftskraft die geringste Verschuldung der großen Industrieländer aufweisen muss? Die Fragen sind aus meiner Sicht andere:
- Ist eigentlich der Freibrief zum Schuldenmachen zu großzügig ausgestellt worden und brauchen wir diese Summen wirklich?
- Wenn alles halbwegs realistisch sein sollte, wer stellt sicher, dass diese Gelder auch effizient ausgegeben und nicht für allerlei Schnickschnack – wie im grünen, ertrotzten 100 Milliarden-Sondervermögen zu befürchten – ausgegeben wird?
- Wer überwacht, was bei den Ausgaben sinnvoll ist und was man vielleicht auch günstiger haben könnte?
Für die letzte der drei Fragen habe ich ein – wie mir scheint – schönes Beispiel parat. Ich habe ja schon eingangs angedeutet, dass ich Ausgaben für eine angemessene Verteidigung nicht für rausgeschmissenes Geld halte, wie das von 1990 mindestens bis zum Beginn des Ukrainekrieges 2022 viele Friedensfreunde getan haben. Eine Demokratie muss in der Lage sein, sich nach außen wirkungsvoll zu verteidigen. Und während im Innern Mengen von Gegnern eines Rechtsrucks auf die Straße gehen, habe ich von einer Massendemonstration für eine Verteidigung nach außen noch nie was gelesen.
Doch nun zum Beispiel: alle paar Tage tritt auf BILD-de und in YouTube Julian Röpke (Jahrgang 1982) auf, das ist der Militärexperte der Bildzeitungs-Redaktion. Und er zeigt seit drei Jahren aus dem BILD-Lagezentrum eine interessante Mischung aus Drohnenfilmchen und Landkarten zum Ukrainekrieg – hätte ich in dieser Kompetenz und dennoch Anschaulichkeit BILD gar nicht zugetraut. Die meisten anderen Medien holen sich einfach einen abgehalfterten Bundeswehroffizier, der dann die Lage erklärt, das ist natürlich billiger. Wie dem auch sei, wer sich Röpkes Beiträge mal anguckt gewinnt schon in der ersten Folge, aber erst recht nach mehreren Sendungen zumindest einen wie mir scheint wichtigen Eindruck: Drohnen spielen dort im Kriegsgeschehen ein oberwichtige Rolle.
Und das ist wirklich anschaulich, denn eine Beobachtungsdrohne filmt die Einschläge von meist mehreren Kampfdrohnen in sündteures Kriegsgerät auf beiden Seiten der Front. Da vernichten dann ein paar dieser Fluggeräte im Wert von einigen tausend Euro einen Panzer oder eine Flugabwehrbatterie, die ein Tausendfaches oder gar mehr kosten. Da kann auch schon mal eine Korvette von Seedrohnen getroffen werden, man braucht nicht viel Fantasie um abzuschätzen, was das kostenmäßig für ein Missverhältnis ist.
Schauen Sie einfach mal, was da an traditionellem schweren Kriegsgeräten bereits kaputtgegangen ist, zusammen bei beiden Kontrahenten mindestens gut 29.000 Einheiten und ein beachtlicher Teil davon durch Minidrohnen. Nehmen Sie für jedes Gerät nur zwei Millionen Euro an, dann waren das fast 60 Milliarden Euro Schaden. Dafür hätte man rund 50 Millionen Billigdrohnen kaufen können. Noch Fragen?
Verständlich, dass sich die materialmäßig auf vielen Feldern unterlegene Ukraine für diese asymmetrische Kriegführung heiß interessiert. Schon im laufenden Jahr, so hat man sich jedenfalls vorgenommen, sollen eine Million Drohnen produziert und eingesetzt werden. Als der Reservistenverband der Bundeswehr im letzten Herbst mal die Bestände an dort vorhandene Drohnen zusammenaddierte, kam er auf ganze 618 Stück, die vornehmlich der Unterstützung des Artillerieeinsatzes dienen. Besonders bedrohlich die Tendenz: von 2013 bis 2024 nur ein Anstieg um ein Zehntel.
(Quelle: 4.10.2025, https://www.reservistenverband.de/magazin-loyal/die-drohnenarme-armee/ und: SPIEGLE, 15.10.24, https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-verkuendet-bau-von-einer-million-drohnen-fuer-streitkraefte-a-2bee284c-58e1-44a7-8186-9e684d849198 )
Nun ist es nicht so, als sei der Bundeswehr der denkbare Game-Change völlig entgangen. Schon im August 2012 erklärte der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (Jahrgang 1954) nach Wünschen aus der Truppe für Kampfdrohen und der anschließenden Kakofonie von Meinungen, unter anderem zur Ethik dieser Waffen: „Es ist kein Unterschied, ob sie mit einer Pistole oder einem Gewehr schießen, einen Torpedo in Gang setzen, eine Bombe ausklinken oder eine mit Raketen bewaffnete Drohne einsetzen. Man kann dazu verniedlichend Wirkmittel sagen. Ethisch ist das alles gleich zu beurteilen.“
Doch viele andere „Kenner“ der Materie erfühlten da andere Ansichten. So wandte sich eine Initiative von Pastoren ein Jahr darauf in einer Erklärung an den CDU-Minister und gab zu bedenken: „Diese ferngelenkten und mit scharfer Munition bestückten Flugkörper sind völkerrechtlich nicht zulässig, weil sie nicht zwischen Widerstandskämpfern und Zivilpersonen jederzeit und an jedem Ort eindeutig unterscheiden können.“ Offenbar war den Gottesmännern entgangen, dass auch ein Jet-Pilot in 10 Kilometer Höhe dazu wohl nicht in jeder Sekunde in der Lage sein dürfte.
(Quelle der Zitate: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Drohnen_der_Bundeswehr#Rechtliche_Lage_und_ethische_Diskussion und: FAZ, 13.5.2013, https://www.faz.net/aktuell/politik/eine-milliarde-euro-versenkt-euro-hawk-wird-nicht-zugelassen-12181768.html und: HB, 13.6.2016, https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/aufruestung-der-bundeswehr-kampfdrohnen-kosten-mehr-als-eine-milliarde-euro/19930254.html
Danach hatte man viele Jahre den Eindruck, als sei Eile mit Weile gerade in dieser Frage eng verbunden. 2018 leaste die Bundeswehr angesichts ihrer Auslandsaufträge eine Handvoll Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron in Israel, die prinzipiell auch hätten bewaffnet werden können. Das Handelsblatt berichtete damals, dass diese fünf Drohnen alles in allem eine ganze Milliarde Euro kosten würden. Offenbar wurden die goldverbrämten Dinger zum Training und vielleicht auch aus Gründen der Zulassung im deutschen Luftraum zunächst in Israel stationiert. Denn zum Beispiel die Entwicklung einer heimischen Drohne vom Typ „Euro Hawk“ war nach 1,3 Milliarden Euro Kosten daran gescheitert, dass das unbemannte Fluggerät keine Zulassung für den deutschen und europäischen Luftraum bekommen würde. Angeblich, so die FAZ damals, hatte das Verteidigungsministerium dies auch schon seit Jahren gewusst und einfach weiterbasteln lassen.
Nun waren das auch immer Projekte, bei denen das alte Konzept des Ministeriums galt: möglichst aufwendig, für alle Spezifikationen gerüstet, lange diskutiert und daher viel zu spät und vor allem teuer. Dabei braucht man nur mal auf Partnerländer zu schauen, wie das billiger geht. So lieferte Litauen im Herbst vorigen Jahres 1.000 Kampfdrohnen in die Ukraine und bestellte bei lokalen Herstellern für acht Millionen Euro mehr als 7.000 weitere Kampfdrohnen, gut 2.300 für die eigene Armee und fast 5.000 für die Streitkräfte der Ukraine. Da kostet so ein Gerät also 1.100 Euro – könnte man 10 Stück pro Feindobjekt einsetzten und es wäre immer noch spottbillig.
Und es ist auch nicht so, dass solche Anbieter hierzulande nicht existieren. So lieferte das Startup Helsing bereits letztes Jahr 4.000 neuartige Drohnen in die Ukraine und will dieses Jahr weitere 6.000 im Auftrag der Bundesregierung fertigen. Die „HX-2“ von Helsing ist eine Ende 2024 vorgestellte Präzisions-Kamikaze-Drohne mit einer Reichweite von bis zu 100 Kilometern. Der Firma zufolge ist sie durch Künstliche Intelligenz (KI) weitgehend immun gegen elektronische Störmaßnahmen und kann auch unter schwierigen Bedingungen autonom ihr Ziel ansteuern. Zudem sei sie deutlich günstiger als herkömmliche Waffensysteme und für die bezahlbare Massenproduktion konzipiert. „Wir lösen komplexe Probleme – das ermöglicht bezahlbare Präzisionswaffen, die abschrecken und unsere Demokratien schützen“, sagte Helsing-Mitbegründer Niklas Köhler.
Zur Fertigung wurde eine neue Produktionsstätte im Süden Deutschlands eröffnet. Die „Resilience Factory“ soll die lokale und unabhängige Herstellung von Drohnensystemen für europäische Staaten ermöglichen. Der genaue Standort bleibt geheim. Sie soll über eine anfängliche Produktionskapazität von monatlich 1.000 HX-2-Drohnen verfügen. Langfristig plant das Unternehmen den Ausbau weiterer Standorte in Europa, um die Produktionskapazität im Krisenfall auf 10.000 Einheiten steigern zu können. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 220 Stundenkilometern kann sie mit verschiedenen Waffensystemen ausgerüstet werden – darunter Mehrzweck-, Anti-Panzer- und Anti-Struktur-Munition.
(Quelle: Merkur, 16.2.25, https://www.merkur.de/politik/die-neue-generation-der-ki-kampfdrohnen-fuer-die-ukraine-zr-93572803.html und Deutschlandfunk, 23.3.25, https://www.deutschlandfunk.de/ruestungsunternehmen-helsing-drohnenwall-an-nato-ostflanke-binnen-eines-jahres-moeglich-100.html )
Der Co-Vorstandsvorsitzende von Helsing empfiehlt einen ganzen „Drohnenwall an der 3.000 Kilometer langen Ostflanke der NATO: „Wenn wir mit Masse dorthin kommen, auf asymmetrische Fähigkeiten setzen, also Zehntausende Kampfdrohnen dort konzentrieren, dann ist es eine sehr glaubwürdige konventionelle Abschreckung.“ Und bringt genau meinen Lieblingseinwand: „Aktuell läuft die Debatte noch wie im Kalten Krieg. Da zählen wir Panzersysteme, Flugzeuge und Schiffe auf der anderen Seite und gucken, ob wir mit viel Geld irgendwie in die Nähe von Parität kommen. Und ich glaube, das ist falsch herum gedacht.“
Mit diesem Einwand von Helsing-Mitbegründer Gundbert Scherf wird am Rande auch obige Frage A nach der Angemessenheit der Finanzmittel beantwortet. Wenn man wirklich jedem russischen Panzer und jeder Rakete nach alter Militärdenke eine gleiche Zahl an teuren High-Tech-Waffen gegenüberstellen will, dann werden sie wohl gar nicht reichen und es würde Ewigkeiten dauern. Würde man indes die heute denkbare Asymmetrie und kostengünstige Produktion neuer Waffen ausreizen, dann reicht es zusammen mit den 75 Milliarden verbliebem alten Sondervermögen („Wumms“) und den laufenden Jahresetats mit der halben Billion nach meiner laienhaften Vorstellung überreichlich. Man darf sich nur eine gewisse Restskepsis bewahren, dass die bisherigen Beamten und Offiziere das auch auf die Reihe kriegen.