Liebe Leser
ich bin Ihnen ja noch einen kleinen Nachtrag zu meinem Witzchen von gestern über Tesla schuldig. Und weil es ein so schönes Beispiel für meine These der story-driven Aktienmärkte ist, will ich es Ihnen nicht schuldig bleiben. Nun ja, die Autoverkäufe 2024 fielen um ein Prozent, das erste Mal in der Firmengeschichte. Mit den Autos wurde auch nicht so gut verdient. Hätte nicht bei Tesla ein Sondergewinn von 600 Millionen Dollar mit „digital assets“ den Gewinn des 4. Quartals aufgepolstert, wären die Schätzungen der Analysten mit nur 55 Cents pro Aktie um 20 Cents unterboten worden.
Vermutlich hat Tesla am Boom des Bitcoin teilgenommen, den Elon Musk Kumpel Donald Trump losgetreten hatte. So viel zum Thema Insider. Die Marge im eigentlichen Autogeschäft fiel im Schlussquartals gegenüber den vorigen drei Monaten von 20,1 Prozent auf 16,6 Prozent. Zwar senkte der Konzern die Kosten pro Fahrzeug um 1.200 Dollar, aber bei den Preisen musste er 3.000 Dollar nachlassen. Alles in Allem also keine allzu strahlende Gegenwart.
(Quelle: Barrons, https://www.barrons.com/livecoverage/tesla-earnings-stock-price-news?mod=lc_navigation )
Doch dann kam nach Börsenschluss die übliche Investoren- und Pressekonferenz von Musk. Und der ließ es an Selbstvertrauen wirklich nicht fehlen. Sein neues Kursziel für Tesla: ein Marktwert von schlappen 15 Billionen Dollar, so viel wie die heute wertvollsten fünf Unternehmen der Wall Street zusammen. Natürlich sollen noch dieses Jahr seine ohne Fahrer umherflitzenden Robotaxis und das preisgünstige „Model 2“ auf den Markt kommen. Und die Investoren fressen es wie üblich: einige werten die sinkenden Preise für die alten Modelle einfach als Anzeichen für das baldige Erscheinen der Billigmodells. So schließt sich der Kreis. Und nach der Konferenz legte der Kurs erstmal vier Prozent zu. Basta. Was zählen schon Daten, wenn man eine Vision hat.
Themenwechsel. Es ist wirklich das erste Mal in vielen Jahren, dass ich was aus Brüssel lese, was in meinem Ohren vernünftig klingt. Endlos kam von dort ein Schwall von Ideen, die dann – von den Deutschen wie gewohnt perfektionistisch umgesetzt – zu wahren Bürokratiemonstern gerieten. Meine Vermutung: kein anderes Land der EU hat das alles so treudoof buchstabengetreu umgesetzt wie wir. Belegen kann ich natürlich nicht, aber es scheint mir unwahrscheinlich, dass in Athen die Umweltmessungen so akribisch vorgenommen werden wie hierzulande oder die Lieferkettenrichtlinie in Rumänien strikter befolgt wird als bei uns.
Nun also zu den hoffnungsvollen Äußerungen, denen vielleicht ja dann auch Taten folgen. Der nagelneue EU-Kommissar und vorherige französische Außenminister Stéphane Séjourné (Jahrgang 1985), zuständig für die Industrie, gab dem Düsseldorfer Handelsblatt ein Interview und versprach darin radikale Einschnitte in EU-Gesetze, um die Bürokratie in den Griff zu bekommen.
(Quelle: Handelsblatt, 29.01.2025, https://www.handelsblatt.com/politik/international/eu-kommissar-sejourne-wir-muessen-den-mut-zu-klaren-einschnitten-haben/100103739.html )
Ich möchte daraus ein paar Sätze zitieren, die aufhorchen lassen. Es geht schon mit der Frage nach der Brüsseler Lieferkettenrichtlinie los. Séjourné: „Es kann nicht sein, dass Unternehmen in Unsicherheit gelassen werden. Ständige Verschiebungen und unklare Umsetzungen helfen weder der Wirtschaft noch der politischen Glaubwürdigkeit. Wenn wir Entbürokratisierung ernst meinen, dann müssen wir den Mut haben, klare Einschnitte zu machen. Ich werde dafür eintreten, dass wir hier klare Entscheidungen treffen. Entweder wir vereinfachen die Richtlinie erheblich, oder wir verwerfen sie ganz.“
Zu Entlastungen der Industrie: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Es braucht eine Schocktherapie für die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Bisher hat die EU oft mit Regulierungen gearbeitet, jetzt wollen wir gezielt die Rahmenbedingungen für Wachstum verbessern. Deshalb planen wir mehrere sektorale ‚Acts‘ nach US-Vorbild, also keine klassischen Regulierungen, sondern gezielte wirtschaftliche Anreize für die Stahl-, Chemie- und Automobilindustrie.“
Handelsblatt: „Welche Anreize schweben Ihnen hier vor?“ Séjourné: „Der Binnenmarkt und der europäische Kapitalmarkt sollen vertieft werden, damit europäische Sparer mehr in Europa statt in ausländischen Unternehmen investieren. Wir arbeiten an einem sogenannten ‚28. Regime‘ für Unternehmen. Ziel ist ein freiwilliges einheitliches europäisches Handelsrecht, das es Unternehmen erleichtert, in mehreren EU-Ländern zu operieren, ohne sich mit 27 unterschiedlichen regulatorischen Systemen auseinandersetzen zu müssen.“ Huch!
Die Haltung zur Autoindustrie erinnert noch ein wenig an die vorige EU-Kommission mit ihrem Green Deal: „Wir wollen für strategische Branchen Energiepreise wieder senken, auch durch eine gezielte Förderung erneuerbarer Energien und für jene Mitgliedstaaten, die sich dafür entscheiden, auch nuklearer Energien. Wir müssen strategische Branchen wie die Stahlindustrie aber auch vor unlauterem Wettbewerb mit CO2-intensivem Stahl aus dem Ausland schützen, dafür wollen wir den Grenzpreis auf CO2-intensive Produkte verschärfen.“ Wieso ist dieser Wettbewerb „unlauter“, wenn andere Länder das nicht so machen wie Brüssel es plant?
Auch die Hilfen für die Autobranche klingen noch „green dealig“. Séjourné: „Zunächst wollen wir Anreize schaffen, damit Unternehmen ihre Fuhrparks schneller auf E-Autos umstellen. Das kann durch steuerliche Vorteile oder eine Entlastung bei regulatorischen Anforderungen geschehen. Zusätzlich prüfen wir, ob europäische Gelder für soziale Leasingmodelle bereitgestellt werden könnten. Das würde es Haushalten mit niedrigerem Einkommen ermöglichen, zu günstigen Konditionen ein Elektroauto zu leasen.“
Konstruktiv hingegen zu den CO2-Flottengrenzwerte, bei denen die Konzerne programmgemäß kräftig blechen müssten: „Ich halte es für widersprüchlich, dass wir einerseits die europäische Automobilindustrie stärken wollen und sie andererseits mit hohen Strafen belegen. Das ergibt keinen Sinn. Wir wollen Investitionen in Zukunftstechnologien fördern, nicht Unternehmen bestrafen, die sich in einem Transformationsprozess befinden. Daher arbeiten wir an einer Lösung bei den Strafzahlungen für das Jahr 2025 in diesem Sinne.“
(Quelle: HB, 24.1.25,https://www.handelsblatt.com/politik/international/wettbewerbsfaehigkeit-eu-kommission-will-industriepolitik-staerker-zentral-lenken/100101976.html )
Auch der zuvor vorgelegte „Wettbewerbsfähigkeitskompass“ der neuen Kommission enthält einen überraschenden Passus: „Die Berichtspflichten für Unternehmen sollen um 25 Prozent reduziert werden, für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sogar um 35 Prozent.“ Auch soll eine neue Kategorie von ‚small midcaps‘ eingeführt werden in die viele deutsche Mittelständler fallen, die von den meisten Berichtspflichten ausgenommen werden. Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt noch ein wenig der Glaube, dass die Bürokratiefans von gestern zu Wachstumsförderern von morgen konvertieren. Aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben.