Liebe Leser,
Deutschlands Presse ist erregt, US-Präsident Joe Biden will die Strafzölle auf Stahl und Aluminium für China verdreifachen. Sie kommen wirklich nicht drauf, wo er das – sich für den Wahlkampf warmlaufend – am Mittwoch verkündet hat: auf einer Veranstaltung vor Beschäftigten der Stahlindustrie im Bundesstaat Pennsylvania. Sein möglicher Kontrahent Donald Trump hatte während seiner Präsidentschaft mehrfach den Handel mit China einzuschränken versucht.
Nun möchte auch Biden die Handelsbeauftragte Katherine Tai auffordern, den aktuell gültigen Zollsatz von 7,5 Prozent auf 22,5 Prozent zu hieven. Natürlich will er dabei nur das Beste: „Die Quintessenz ist, dass ich fairen Wettbewerb mit China will, und keinen Konflikt.“ Des Weiteren: „Wir sind in einer stärkeren Position, den wirtschaftlichen Wettbewerb gegen China zu gewinnen, weil wir wieder in Amerika und amerikanische Arbeiter investieren.“
(Quelle: HB, 18.4.24, https://www.handelsblatt.com/politik/international/usa-biden-will-zoelle-auf-stahl-und-aluminium-aus-china-verdreifachen/100033312.html und: https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/dumpingvorwuerfe-an-china-us-praesident-joe-biden-will-zoelle-auf-stahl-erhoehen-a-19a45d4c-627a-453c-9413-ec63e1d619d2 )
Einen winzigen Schönheitsfehler hat die Sache: bei Aluminium machen chinesische Exporte ja wenigstens noch ein Zehntel der US-Importe dieses Metalls aus, aber bei dem so publikumswirksam vor Arbeitern angekündigten Stahl lagen die Importe aus dem „Reich der Mitte“ 2023 nur bei kläglichen 631.000 Tonnen. Das war nicht einmal ein Promille der China-Stahlproduktion.
(Quelle für Chinaimporte: https://www.trade.gov/data-visualization/us-steel-import-monitor )
Sie kennen meine Meinung aus vorigen Mails: Chinas Stahl wird auf den Weltmärkten als Billigangebot auftauchen. Der Grund ist simpel, der Infrastrukturausbau und Wohnbau stocken daheim, ehe ein Werk dicht machen muss, wird es sein Zeug irgendwo zu verkaufen versuchen.
Themenwechsel. Hier geht es um einen Lebensbereich, der vielen meiner Bekannten und Freunde wichtig sein dürfte: wo gehe ich gut essen und trinken? Der Sektor kam besonders in den trüben Coronazeiten ins Bewusstsein, als viele Gastronomen erst schließen, dann unter harten Bedingungen arbeiten mussten. Anschließend kamen auch noch trübe Tage durch den Ukraine-Preisschock und weggelaufenes Personal hinzu. Alles übel.
Ich will mal diese Entwicklung in wenigen Schaubildern zu dokumentieren versuchen. Das schafft einen Eindruck, wo wir heute gastronomisch ungefähr stehen. Auf den ersten Blick scheint die böse Delle bei Verkauf von Speisen und Getränken umsatzmäßig überstanden zu sein. Sie sehen jetzt in der ersten Grafik den monatlichen Umsatz seit 1995 in braun und als wesentlich aussagekräftigeren 12 Monate-Durchschnitt im dicken roten Strich.
Da wurde nach dem tiefen Einbruch an der Registrierkasse alles nicht nur wieder aufgeholt, sondern zuletzt der höchste Stand aller Zeiten erreicht: süßer die Kassen beim Wirt nie klangen sozusagen. Aber ein gewichtiger Teil der Erholung bestand offenbar in Preissteigerungen, mit denen die Gastgeber die gestiegenen Kosten mehr oder weniger angemessen weitergaben.
Die nächste Grafik zeigt die preisbereinigten Umsätze und da ist nach langen Niedergang von 1995 bis 2019 und tiefem Einbruch 2020 und 2021 inzwischen noch nicht einmal wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. Und zuletzt flaut das Geschäft offenbar sogar schon wieder leicht ab.
Augenfällig wird die Diskrepanz, wenn man mal beide gezeigte Kurven gegeneinanderstellt. In Rot die positiv erscheinende nominale Entwicklung, in Braun daneben die um Preissteigerungen bereinigten Umsätze.
Die Frage für die wirkliche wirtschaftliche Lage der Wirte ist: haben sie sich mit den Preissteigerungen bei ihren Gästen so viel herausgeholt, dass sie nicht nur die gestiegenen Kosten für Miete, Sacheinsatz und Löhne ausgleichen konnten, sondern auch Effekte durch weniger Verkauf (siehe reale Umsätze)?
Alles in allem ist das schwer durch allgemeine Statistiken zu erfassen. Ausnahmsweise daher mal ein anekdotischer Eindruck von mir: Mittwochabend war ich von Freunden auf eine baldige Schließung aufmerksam gemacht worden und mit ihnen zu Besuch in einem portugiesischen Restaurant. Nach 23 Jahren will der Wirt seine gastronomische Tätigkeit jetzt an den Nagel hängen. Am Tisch erläuterte er uns warum: zum Beispiel seien Edelfische in der von ihm präsentierten Qualität so teuer geworden, dass er das seinen Stammkunden preislich nicht mehr zumuten könne. „Wenn ich da 50 Euro aufrufe, dann denken die ich spinne.“
So wird es einigen Anbietern gerade im mittleren Preissegment gehen. Und aus Sicht der Kunden stellen sich die obigen Grafiken so dar: ich kriege da real weniger und muss mehr bezahlen. Die marktwirtschaftliche Antwort ist einfach, da geht man seltener und/oder weniger essen. Was natürlich für die Kostenstrukturen der verbleibenden Anbieter nicht gerade förderlich ist.
Nun gilt das alles nur im Durchschnitt, eine guter Wirt wird sich flexibel anpassen, etwa mit veränderter Karte, anderen Öffnungszeiten, weniger Personal oder sonst was. Aber freuen kann einen das Ganze als begeisterter Restaurantbesucher nicht. Aber was soll’s, die gastronomischen Landschaft wird sich nicht mir anpassen.