Lieber Leser,
in der Morgenmail vom Mittwoch „NATO: Geld für die Verteidigung“ habe ich Ihnen darzulegen versucht, was denn die aktuellen Tarifverhandlungen mit ihren recht hohen Forderungen für die Reallöhne bedeuten könnten. Und Sie konnten anhand der Grafiken auch einen Grund für die in den letzten beiden Jahren eher müde Konsumstimmung erahnen: real, also nach den Preissteigerungen für Waren und Dienstleistungen, hatte der Arbeitnehmer seit dem Höchststand Anfang 2020 bis zu sieben Prozent weniger im Portemonnaie, weil alte Tarifverträge noch fortbestanden und die Preise im Laden ukrainebedingt zeitweise kräftig nach oben hüpften.
In der roten Linie der nächsten Grafik sehen Sie, wie die Konsumlaune im langfristigen Vergleich nach Corona und Ukraineschock zum dritten Mal auf Talfahrt ging. Die Stimmung in der Industrie hängst damit dann immer eng zusammen, wie die braune Linie zeigt.
Kernaussage zur Konsumlaune in der Mittwoch-Mail: 2024 dreht sich diese Entwicklung zunehmend um. Die abzusehenden höheren Lohnabschlüsse erfolgen vor dem Hintergrund eher nachlassender Inflation, sprich: die Reallöhne steigen wieder und voraussichtlich sogar knackig.
Da Inflation und Einkommen nicht nur logisch, sondern auch in Wirklichkeit zusammenhängen, ist daher mit einer Verbesserung der Konsumstimmung zu rechnen. Für Kenner habe ich Ihnen das mal in einer Grafik zusammengepackt. Über einen längeren Zeitraum hinweg (seit 1985) zeigt sie das Wertepaar Inflationsrate (oben) und Konsumlaune (Y-Achse).
Die rote, gepunktete Linie (lineare Trendline) deutet Ihnen an, wie beides zusammenhängt. Je weiter man auf der „Inflationslinie“ nach rechts geht, desto niedriger ist das Konsumklima. Das gilt dann allerdings auch in die andere Richtung: je weiter man nach links blickt, desto mehr steigt im Schnitt die Stimmung. Macht ja auch Sinn, wenn Sie sich über eine schöne Einkommenssteigerung freuen und Ihnen die Inflation den Anstieg nicht wieder auffrisst, dann denken Sie eher an den Kauf eines neuen Flachbildschirms oder eines schicken Wohnzimmerschrankes, als wenn das anders ist.
Meine Prognose daher: spätestens im zweiten Halbjahr, wenn die Bundesbürger diese günstigere Konstellation immer stärker am eigenen Leib verspüren, sollte sich die Stimmung in den Ladenstraßen aufhellen. Okay, das könnte dann die rückläufige Inflationsrate nach einer Weile wieder anfachen, aber immer eins nach dem anderen. Gerade bei der Konjunkturabschätzung gilt: bloß nicht zu viele unbekannte Faktoren in die Gleichung einrechnen wollen. Dann weiß man am Ende gar nichts mehr.
Ein letzter Punkt kommt hinzu: hören Sie doch mal in Ihren Bekanntenkreis und die Medien rein – so übel wie im Moment waren die Zukunftserwartungen selten. Die Industrie wandert ab, der Bausektor ist im Eimer, die Politik eine Katastrophe und selbst die Bahn fährt so unpünktlich wie noch nie. Daneben Demos, Streiks und Zoff in der Ampel.
Doch erfahrungsgemäß dauern solche Stimmungstiefs nie ewig. Und warum auch? Wenn die Erwartungen im Keller sind, steigt die Wahrscheinlichkeit von positiven Überraschungen. Ist doch logisch: erwarten Sie den Untergang, sind sie schon positiv überrascht, wenn der morgen noch nicht gekommen ist.
Themenwechsel. Die Weltenretter hatten sich das so schön ausgedacht: 700 große Finanzkonzerne von A wie ABN Amro bis Z wie Zurich Insurance Group sollten ihre Geldmacht bündeln und den CO2-Produzenten wie Ölförderern auf ihren Hauptversammlungen per direkter Einflussnahme und Unterstützung von Aktivisten heimleuchten. „Climate Action 100+“ oder kurz „CA100+“ heißt das Bündnis zum Wohle des Klimas.
(Quelle: CA 100+, https://www.climateaction100.org/whos-involved/investors/page/2/?search_investors&investor_type=asset-manager )
Bisschen abenteuerlich klang das in meinen Ohren schon: was die Parlamente nicht fertig bringen oder sich nicht trauen, sollten ausgerechnet die von Hause aus gierigen Finanzhaie herbeiführen – zur Not auch gegen ihre eigenen Interessen. Und die Ziele dabei waren im Sinne des Pariser Klimaabkommens hoch gesteckt: „Dies impliziert insbesondere die Notwendigkeit, bis 2050 oder früher Netto-Null-Emissionen anzustreben“, setzte sich CA100+ zum hehren Ziel.
Pech dann, das angesichts des Ukrainekriegs die Börsenbedingungen nicht günstig für das Vorhaben waren. Die Energiepreise schossen nach oben und mit ihnen die Kurse der Öl- und Gasaktien, die sich nun eine goldene Nase verdienten. So begann denn auch die zunächst aus Begeisterung oder Opportunismus zusammengefügte Front schon letztes Jahr merklich zu bröckeln.
„Unsere Forschung zeigt ein konsistentes Muster der Untergrabung und Ablehnung klimabezogener Vorschläge“, betont Gustave Loriot-Boserup, Gründer von „Compass Insights“, gegenüber dem Fachblatt NetZeroInvestor und nennt Beispiele: So habe sich der US-Investmentgigant BlackRock gegen alle Aktionärsanträge bei Exxon, BP, Shell und der französischen Total ausgesprochen, während auch JP Morgan und State Street die meisten davon abgelehnt hätten.
Mehr noch, jetzt wittern auch die Ölgiganten Morgenluft. Der Branchenprimus, wenn man von der zum größten Teil staatlichen saudischen ARAMCO einmal absieht, Exxon Mobil, kündigte an, er wolle zwei seiner Aktionäre, „Follow This“ und „Arjuna Capital“, wegen der Einreichung einer Klimaresolution vor Gericht verklagen. Dies könnte andere Vermögensverwalter zu größerer Vorsicht bei der Unterstützung aktivistischer Klimaresolutionen veranlassen. Für die diesjährige Exxon-Hauptversammlung wird kein Aktivistenantrag mehr erwartet.
Letzte Woche dann ein Paukenschlag: mit JP Morgan und State Street, sowie zum Teil auch BlackRock traten gleich drei Schwergewichte aus der globalen Investorenkoalition CA100+ aus. Rechnet man die hinter diesem Exodus stehenden Anlagegelder zusammen, kommt man auf rund 14.000 Milliarden Dollar. Gerätselt wurde dabei, inwieweit die Austretenden unter Druck republikanischer Politiker geraten waren. Trump und sein Truppe stehen der Ökobewegung bekanntlich skeptisch gegenüber.
(Quelle: NetZeroInvestor, https://www.netzeroinvestor.net/news-and-views/climate-action-100-exits-a-crisis-of-stewardship und: https://www.netzeroinvestor.net/news-and-views/briefs/jp-morgan-and-state-street-exit-ca100-as-blackrock-steps-back und: https://www.ipe.com/news/european-disappointment-as-us-strife-shows-up-in-manager-ca100-exits/10071716.article und: https://www.follow-this.org/ )
Die wahren Motive beim Umschwung vom finanziellen Klimafreak zum Desillusionierten sind von außen genauso schwer abzuschätzen wie die zukünftigen Folgen. Natürlich betonen die Gesellschaften, dass sie intern weiter ökokorrekt bleiben wollen, aber einige Beobachter fragen sich durchaus, ob in den USA der Höhepunkt der Begeisterung im Kampf gegen den Klimawandel nicht doch überschritten sein könnte.
Einige europäische Aktivisten versuchen der Sache gar Positives abzugewinnen. Nach Mark van Baal, der bei der in Amsterdam beheimateten „Follow This“ das Klimaengagement bei Energieunternehmen zu überwachen versucht, könnten sich die Austritte „halbherziger“ Mitglieder der Klimaschutzkoalition sogar als günstig erweisen. Nicht ganz leicht zu verstehen, die Aktion wirbt mit dem Slogan „Green shareholders change the world“, da kann es doch kaum von Vorteil sein, wenn einige der größten nicht mehr zur grünen Fahne stehen.