Liebe Leser,
es gehörte – mit Ausnahme wohl der FDP – zu den Herzensanliegen der regierenden Ampelkoalition, den Mindestlohn von zuvor 10,45 Euro auf 12 Euro anzuheben. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Preissteigerungen ergibt der neue Mindestlohn eine Lohnerhöhung um bis zu 22 Prozent“, jubelte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beim Inkrafttreten zum 1. Oktober 2022. Und begeisterte sich, dass damit sechs Millionen Menschen mehr Bares zufließen würde.
(Quelle: Arbeitsministerium, https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Arbeitsrecht/Mindestlohn/mindestlohn.html )
Kein Cent Mehrkosten für die Regierung, sechs Millionen potentielle Wähler beglückt, klar, dass das die Politiker nicht ruhen lassen würde, den Geldhahn weiter aufzudrehen. Soll der Mindestlohn nach den verabredeten Regeln der Anpassung durch eine Mindestlohnkommission in den kommenden zwei Jahren eigentlich auf 12,82 Euro steigen, sehen selbsternannte Wirtschaftsexperten weit mehr Steigerungsbedarf.
SPD-Chef Lars Klingbeil (Jahrgang 1978) will zumindest deutlich mehr, ohne sich schon in der Höhe festzulegen, die Co-Parteivorsitzende der GRÜNEN, Ricarda Lang (Jahrgang 1994), hält jetzt 14 Euro für angebracht, die SPD-Jugendorganisation Jusos und einige Landesverbände sind schon bei 15 Euro minimalem Stundenlohn angekommen. Letzteres wäre dann gegenüber der Vorampelzeit ein Sprung um satte 44 Prozent.
(Quelle: WELT, 17.10.23, https://www.welt.de/politik/deutschland/article248031574/Gruenen-Vorsitzende-Lang-fordert-hoeheren-Mindestlohn.html )
Frau Lang hat 12 Semester Jura studiert und damit 2019 ohne Abschluss aufgehört, Herr Klingbeil fing ebenfalls mit Rechtswissenschaften an, erwarb dann aber als Abschluss an der Uni Hannover 2004 den „Magister Artium“, wörtlich übersetzt „Meister der Künste“, aber soweit ich weiß so eine Art Schmalspurabschluss. Eine Institution, die von ihren erwirtschafteten Einnahmen leben muss, haben beide – soweit man erkennen kann – nie als Arbeitnehmer von innen gesehen. Bei den Jungsozialisten wäre das natürlich eine Vorbedingung für die Wahl von Spitzenpersonal.
Deshalb können diese Menschen auch nicht wissen, dass ein per Gesetz festgesetzter Lohn Risiken und Nebenwirkungen hat. Sonst wäre das Leben doch so einfach: man würde den Mindestlohn auf 5.000 Euro im Monat anheben, Konsum und Wirtschaft würden blühen, den Menschen ginge es prima und die Stimmung im Lande wäre super.
Leider muss auch ein Mindestlohn mit dem in Beziehung stehen, was der Arbeitnehmer dem Unternehmen einbringt oder wert ist. Weil sonst spart man ihn, wenn irgend möglich, einfach ein. Stellen Sie sich den guten alten Pförtner vor, der früher am Eingang morgens den Chef begrüßt, wenn der zu teuer wird, verzichtet man auf ihn oder spätestens bei seinem Dienstende auf einen Nachfolger.
Themenwechsel. Nach den letzten Landtagswahlen in Bayern und Hessen scheint die Diskussion um Zuwanderung und Asylrecht wieder stark angefacht. Ich will mich dazu gar nicht im Detail äußern, sondern – wie gewohnt – nur statistische Information liefern. Aufschluss über die Situation gibt die monatliche Publikation „Asyl und Flüchtlingsschutz – Aktuelle Zahlen (09/2023)“ des „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)“, die zuletzt am 9. Oktober erschienen ist.
Daraus nur eine Auswertung: für die ersten neun Monate werden dort 233.744 Asylanträge genannt. Eine große Tabelle, aus der Sie hier nur einen Ausschnitt sehen, gibt Aufschluss über Alter und Geschlecht der Antragsteller. Demnach stammten im Berichtszeitraum 46,4 Prozent aller Anträge von Männern im Alter von 18 bis 40 Jahren. Klar, die sind für eine strapaziöse Flucht am besten geeignet. In der gleichen Altersgruppe finden sich lediglich 11,8 Prozent Frauen.
Nur eine Zahl noch: mit fast 26.000 monatlichen Asylanträgen im bisherigen 2023 liegt Deutschland in Europa meilenweit vorne. Frankreich bringt es als an sich asylfreudiges Land gerade mal auf die Hälfte. Ganz Skandinavien ist mit gut 2.000 dabei. Und die USA – viermal so bevölkerungsreich wie Deutschland – nahmen bislang im Monat rund 34.700 Asylsuchende auf.
Ganz anderes Thema. Im Londoner „ECONOMIST“ bin ich über einen interessanten Beitrag zum Israel/Hamas-Komplex gestolpert, aus dem ich Ihnen ein paar Statements von Ehud Barak (Jahrgang 1942) zitieren möchte. Der war von hohen Militärposten über das Amt des Verteidigungsministers bis zum Premier in Israel schon so ziemlich alles, was in der Gaza-Frage Kompetenz vermuten lassen könnte.
Mehr noch, er kennt den heutigen Regierungschef Benjamin Netanjahu (Jahrgang 1949) seit über einem halben Jahrhundert und ihrer gemeinsamen Militärzeit. Dessen im Dienst umgekommener Bruder war ein enger Freund von Barak. Nun sieht er in der Schlappe zu Beginn des Überfalls auf Israel den „größten Fehler in der Geschichte Israels“. Vielleicht als Spruch eine Nummer zu groß, schon früher gab es in Israels neuerer Geschichte böse Überraschungen, aber ein Ruhmesblatt war der Überfall sicher nicht gerade.
(Quelle: ECONOMIST, 15.10.23, https://www.economist.com/middle-east-and-africa/2023/10/15/ehud-barak-blames-binyamin-netanyahu-for-the-greatest-failure-in-israels-history?itm_source=parsely-api )
Anders als viele Beobachter hält der altgediente Militär nichts von einer schnellen Aktion im Gazastreifen, wenngleich er eine Operation gegen die Hamas grundsätzlich gutheißt. Doch solle die Regierung eine Bodenoperation nicht überstürzen. „Wir sehen uns keiner existenziellen Bedrohung durch die Hamas gegenüber“, sagt er. „Israel wird das gewinnen.“ Aber seiner Meinung nach erst, sobald alle einberufenen Reservisten eine Auffrischungsschulung durchlaufen haben, mit Start der Operation dann eher „in zwei bis sechs Wochen“.
Zudem räumt er dabei der Einhaltung des Völkerrechts und dass Israels Aktion von der ganzen Welt als legitim angesehen wird, eine hohe Priorität ein. Sein Gedanke: nach dem Terroranschlag boten die meisten westlichen Regierungen Israel ihre volle Unterstützung an. Aber „mit der Unterstützung geht auch die Erwartung einher, dass wir uns bei unseren Einsätzen an das Völkerrecht halten.“ Zumal, so Barak Prognose: „Die Unterstützung wird schwinden, wenn es Aufnahmen von zerstörten Häusern mit Kinderleichen und weinenden alten Frauen gibt.“
Zwar meint der inzwischen 81-jährige Stratege, dass Israel ein wachsames Auge auf die Hisbollah haben muss, die vom Iran unterstützte schiitische Miliz im Libanon. Denn die verfüge über 150.000 auf Israel gerichtete Raketen. Doch sein Land habe Truppen und Panzer zur Abschreckung an die nördliche Grenze geschickt. Der Hamas-Angriff aus Gaza hätte laut Barak auf ähnlichen Plänen der Hisbollah dort basiert, israelische Siedlungen anzugreifen. Doch die Hisbollah habe nun das Überraschungsmoment verloren: „Ich glaube nicht, dass sie angreifen werden, nachdem wir viele Streitkräfte im Norden stationiert haben.“
Ein weiterer Gedanke scheint bedenkenswert. So sieht Barak, der auch wegen dessen Verfassungsänderungen zunehmend auf Distanz zu Netanjahu gegangen ist, die Notwendigkeit einer Aufarbeitung von Versäumnissen nach dem Krieg. „Die unmittelbaren Betriebsprobleme werden jetzt behoben, doch eine viel tiefergehende Bewertung muss später erfolgen.“ Dabei vermutet er eine gehörige Mitschuld beim Premier.
„Es wird klar sein, dass Netanjahu vor allem eine fehlerhafte Strategie hatte, die Hamas am Leben zu halten … damit er sie nutzen konnte, um die Palästinensische Autonomiebehörde zu schwächen, sodass niemand auf der Welt verlangen konnte, dass wir Verhandlungen mit ihr führen“, ist er sich sicher. Und dann werden auch Fragen zu Versäumnissen beim Geheimdienst und in der Planung zur Sprache kommen, die es der Terrortruppe ermöglicht haben, Israel so völlig zu überraschen. Längst nicht immer haben alte Knaben Recht, aber anhören sollte man sich ihre Meinung schon.