Liebe Leser,
zur Aktualität: Sie wissen ja, ich predige seit Monaten, dass die deutsche Inflationsrate im Monat September deutlich zurückgehen wird (Stichwort: Basiseffekt zum Vorjahr). Nun meldet das Bundesland Nordrhein-Westfalen, im ablaufenden September sei der Anstieg der Verbraucherpreise laut Statistischem Landesamt von 5,9 Prozent auf 4,2 Prozent zurückgegangen. Auch bundesweit signalisieren vorläufige Zahlen nur noch 4,5 Prozent und damit 1,6 Prozentpunkte weniger als im Vormonat. Damit steht auch meine Prognose weiterhin, dass der Aufwärtstrend der Zinsen abgeschlossen ist. Ein paar Zehntelprozentchen sind immer noch drin, aber im Grunde sind wir durch.
Themenwechsel. Funkstille bei einem der Titanen des chinesischen Immobilienmarktes. Als Evergrande den Kurs seiner Aktie und den von zwei Tochtergesellschaften an der Börse aussetzen ließ, fragte die „South China Morning Post (SCMP)“ aus Hongkong beim Unternehmen per E-Mail an, ob diese Maßnahmen damit zusammenhängen würden, dass der Chairman Hui Ka Yan – einst einer der reichsten Männer Asiens – von den Behörden unter die Lupe genommen würde? Stünde man denn noch mit ihm in Kontakt, wollten die Journalisten zudem wissen? Auch Telefonanrufe in den Evergrande-Büros in Hongkong, Shenzhen und Guangzhou wurden nicht beantwortet.
Stattdessen beruhigt eine Sprachansage: Hui habe seine Führungskräfte angewiesen, den Bau zu beschleunigen, um die vertraglich vereinbarten Immobilien für die Kunden fertigzustellen. Nur stammt der Clip schon vom vergangenen Dezember. Aktuell heizen die Diskussionen in Chinas Social-Media-Plattformen an, dass der Chef schon länger nicht mehr öffentlich sichtbar ist. Immerhin ist Evergrande der am höchsten verschuldete Projektentwickler der Welt.
(Quelle: SCMP, 28.9.23, https://www.scmp.com/business/markets/article/3236055/evergrande-halts-shares-trading-its-group-and-units-amid-scrutiny-its-chairmans-whereabouts?module=lead_hero_story&pgtype=homepage )
Letzte Woche hatte Evergrande sechs für den 25. und 26. September geplante Gläubigerversammlungen abgesagt und bekannt gegeben, dass das Unternehmen nicht in der Lage ist, die regulatorischen Anforderungen für die Ausgabe neuer Anleihen zu erfüllen – ein wichtiger Bestandteil seines finanziellen Umstrukturierungsvorschlags für Schulden von 20 Milliarden US-Dollar. Ein Liquidationsantrag in Hongkong wird am 30. Oktober verhandelt, nachdem er seit Juni 2022 mehrmals vertagt wurde.
Daueroptimisten sehen die wachsenden Schwierigkeiten von der anderen Seite. „Die jüngsten Ermittlungen zu Evergrande könnten dazu beitragen, den Weg für staatliche Interventionen freizumachen“, hoffen Liu Jieqi und Damon Shen, Analysten bei UOB-Kay Hian Securities, in einem Bericht. Ihr Argument: Verkaufte, aber nicht gelieferte Häuser stellen ein Risiko für die soziale Stabilität dar.
Themenwechsel. Ich weiß, ich habe schon öfter geschrieben, dass Deutschland auf dem Weg zu einem Tollhaus sein könnte. Aber es kommen ja immer neue Ideen dieser Regierung hinzu, die aus meiner unmaßgeblichen Sicht zu dieser Ansicht Kleinigkeiten beisteuern. Am Mittwoch wurde gerade vollmundig die neue „Raumfahrtstrategie der Bundesregierung“ verkündet.
Danach will die Nation, die es nicht einmal schafft, dass auf der Erde die ICEs halbwegs pünktlich fahren, nun unbedingt auf den Mond fliegen. Daneben sollen ganz nebenbei Mikroraketen entwickelt werden und das Raumfahrt-Business revolutionieren. Offenbar fühlt sich die Regierung bei der völligen energetischen Umwandlung der Gesellschaft hier auf dem Boden nicht ausgelastet.
(Quelle: NZZ, 27.9.23, https://www.nzz.ch/international/deutschlands-raumfahrtstrategie-die-ampel-will-zum-mond-ld.1758073?ga=1&kid=nl166_2023-9-27&mktcid=nled&mktcval=166_2023-09-27 und Wirtschaftsministerium )
Abenteuerlich wird es, wenn man die Begründung für diesen Aufbruch in ferne Welten liest. Aus dem All will Berlin hinfort das Klima noch besser retten: „Ohne die Raumfahrt hätten wir heute eine weitaus ungenauere Vorstellung des Klimawandels“, steht im Strategiepapier. Die Bundesregierung will daran anknüpfen und ein „integriertes Treibhausgas-Monitoringsystem für Deutschland“ aufbauen. Durch genauere Messung von CO2-Quellen aus dem Weltall soll ein Beitrag dazu geleistet werden, die europäischen Klimaziele zu erreichen.
Um dort mehr Nachhaltigkeit zu schaffen, will die Regierung auch ein nationales Weltraumgesetz erlassen, „welches ein Genehmigungserfordernis für und die Überwachung von Weltraumaktivitäten vorsieht“. Die „Neue Zürcher Zeitung (NZZ)“ will erfahren haben, dass Robert Habecks Wirtschaftsministerium das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet sehen will. Das heißt, die Ministerialen, die sich schon bei Wärmepumpen im Hinterhof hoffnungslos verhedderten, wollen nun in eineinhalb Jahren Klarheit im Weltraum schaffen.
Auch andere wichtige Aufgaben im Business und der Landessicherheit stehen demnach ganz weit oben an. Um das unter einen staatlichen Hut zu bringen, soll bis 2030 ein ressortübergreifendes Weltraumlagezentrum eingerichtet werden. Der Knüller beim Ganzen aber bleiben Mondmissionen, für die sich die Regierung förmlich euphorisiert.
Die grüne Raumfahrtkoordinatorin Anna Christmann (Jahrgang 1983), promovierte Politologin, sonst gerne – statt Rakete – mit dem Fahrrad unterwegs, gibt sich optimistisch: „Wir sind ein enger Partner der amerikanischen Artemis-Mondmission, bei der es drei Plätze für ESA-Astronauten gibt.“ ESA ist die Europäische Raumfahrtbehörde in Paris mit ihren 22 Mitgliedsländern. Und: „Als stärkster Partner der Artemis-Mission sehen wir da gute Chancen für deutsche Astronauten.“
(Quelle: https://annachristmann.de/ und: https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Christmann )
Aber nicht nur auf dem US-Tandem will man zum Erdtrabanten, Europa beabsichtigt, „die nachhaltige Exploration des Mondes und seiner Oberfläche prägend mitzugestalten“. Zusammen mit Italien will Berlin vorne mitspielen, da die beiden Staaten „mit Abstand den größten Anteil an dem neu initiierten European Large Logistics Lander (EL3), genannt „Argonaut“, haben. Dessen erste Mission soll bis 2030 umgesetzt werden. Wenn man die Zuverlässigkeit von Zeitplanungen bei anderen Großprojekten als Ausgangspunkt nimmt, kann sowas allerdings auch noch Lichtjahre dauern.
Gelingt es beim US-Partnersystem wider Erwarten nicht, Deutsche 2025 auf den Mond zu schießen, wird im Rahmen anderer Partnerschaften „die Möglichkeit gesehen, eine europäische Astronautin bzw. einen europäischen Astronauten zukünftig auf die Mondoberfläche zu bringen, was auch für deutsche Astronautinnen und Astronauten eine inspirierende Perspektive ist“, so die Strategie. Klasse, auch im Weltraum wird schon – wenngleich vorerst nur auf dem Papier – gegendert.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Reinhard Houben (Jahrgang 1960), spricht angesichts solcher galaktischen Perspektiven von einem „ambitionierten Fahrplan zu neuen Weiten in der Weltraumpolitik“. Kein Wunder, Houbens Motto: „Nie gab es mehr zu tun.“ Warum nicht auch im Orbit und darüber hinaus? Zum Beispiel der Bau einer Mondstation, wie sie die ESA plant.

(Quelle: ESA, https://www.esa.int/Space_in_Member_States/Germany/ESA_testet_3D-Drucker_fuer_den_Bau_einer_Mondbasis )
Begrenzender Faktor bei all den extraterrestrischen Gedanken zu diesen fast unbegrenzten Möglichkeiten – wie so oft das liebe Geld. Wie viel die „Ampel“ von ihrer Raumfahrtstrategie tatsächlich nach oben schießen kann, ist monetär ungewiss. Der „Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie“ wies erst vor zwei Monaten darauf hin, dass der Raumfahrt im Bundeshaushalt 2024 „massive Einschnitte“ drohen würden.
So erhöht Deutschland zwar seinen Beitrag zur ESA und bleibt mit 3,5 Milliarden Euro zwischen 2023 und 2025 größter Beitragszahler. Doch beim Nationalen Weltraumprogramm wird stark gekürzt. Im kommenden Jahr will der Bund dafür nur noch 314 Millionen Euro ausgeben: ein Minus von 15 Prozent im Vorjahresvergleich. Daher will die Regierung auch vermehrt auf privates Kapital im All setzen.
Dabei knüpft Habeck eigentlich nur an Überlegungen an, die spätestens 1966 hierzulande Allgemeingut wurden. Damals startete noch unter Bundeskanzler Ludwig Erhard (1897-1977) das Raumschiff Orion zu seinen „phantastischen Abenteuern“. In sieben Folgen flog die Orion auf den deutschen Schwarzweißbildschirmen in „Weiten am Rande der Unendlichkeit“. Ein Ausflug zum Mond wäre für die Crew dabei ein galaktischer Klacks gewesen.
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Raumpatrouille_%E2%80%93_Die_phantastischen_Abenteuer_des_Raumschiffes_Orion und: https://www.fernsehserien.de/raumpatrouille )
Ein schönes, bevorstehendes Wochenende wünscht
Ihr A.