Liebe Leser,
heute mal ein Reihe von Karten aus der Ukraine, da ich davon ausgehe, dass Ihnen die genannten Orte geographisch nicht alle geläufig sind. Zu meiner Überraschung hatten die deutschen Medien zunächst eher wenig davon berichtet, was in den USA durchaus als wichtige Entwicklung im Ukrainekrieg zuerst gemeldet wurde. Einige unserer Medien meldeten auch schlicht falsch. Etwa: „Dann ist die Südfront verloren – Ukraine gelingt erster Durchbruch aller russischen Linien“. Von allen Linien kann indes keine Rede sein.
Am letzten Donnerstag hatte das Wall Street Journal mit der amerikanischen Berichterstattung über einen ukrainischen Durchbruch einer Verteidigungslinie der Russen in der Nähe der kleinen Ortschaft Verbowe (vor dem Krieg 1.200 Einwohner) begonnen, bei der auch schon schwere Waffen in die Lücke gestoßen seien. Das wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Asowsches Meer, das allerdings noch etwa 70 Kilometer Luftlinie von dort im Süden entfernt liegt.
(Quelle: WSJ, 21.9.23, https://www.wsj.com/world/europe/ukrainian-armored-vehicles-breach-russian-defensive-line-in-southeast-bcd472d4 und: NYT, 22.3.23, https://www.nytimes.com/2023/09/22/world/europe/ukraine-counteroffensive.html und: WELT, 22.9.23, https://www.welt.de/politik/ausland/plus247617948/Suedfront-Ukraine-gelingt-erster-Durchbruch-aller-russischen-Linien.html )
Dieser Teil des Schwarzen Meeres ist das Traumziel der Ukrainer bei der laufenden Offensive, denn es würde die eingedrungenen Russen nördlich der Krim in zwei Teile zerschneiden. Ich hatte Ihnen dazu schon einmal die Meinung eines Militärexperten präsentiert, dass zur extremen Schwächung der russischen Logistik indes kein völliges Erreichen der Küstenlinie nötig ist, sondern lediglich Artilleriereichweite, mit der man eine wichtige Autobahn von Ost nach West bedrohen kann. Siehe Mail vom 1. September „Ukrainekrieg: Reichweite reicht bald“.
Am Freitag zitierte die New York Times einen Leutnant Ashot Arutiunian, Kommandeur einer in der Gegend operierenden Drohnen-Aufklärungseinheit. Danach seien Fahrzeuge in der Nähe von Verbowe durchgebrochen. Allerdings wären sie bislang auf eine schmale Strecke durch Minenfelder beschränkt und hätten noch wenig Spielraum.
(Quelle: ISW, https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-september-23-2023
Hier noch einmal der bisherige Geländegewinn in einer Karte der New York Times.
(Quelle: NYT, 23.9.23, https://www.nytimes.com/interactive/2023/09/20/world/europe/ukraine-war-counteroffensive-robotyne.html?name=styln-russia-ukraine®ion=TOP_BANNER&block=storyline_menu_recirc&action=click&pgtype=Article&variant=undefined )
Inzwischen hat der Kommandeur der ukrainischen Tavriisk-Truppengruppe, Brigadegeneral Oleksandr Tarnavskyi, in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNN am Samstag bestätigt, dass den ukrainischen Streitkräften ein „Durchbruch“ auf der linken Flanke in der Nähe von Verbowe gelungen sei und dass sie weiter vorrücken. Offenbar gibt es auch, wie das Washingtoner Institute for the Study of War (ISW) in seinem sonntäglichen Tagesbericht meldet, geolokalisiertes Bildmaterial, das die Aussagen des Generals bestätigt. Am Sonntag behauptete dann der Generalstab in Kiew, seine Truppen „verdrängen bei Werbowe im Gebiet Saporischschja den Gegner aus seinen Stellungen und setzen sich an den erreichten Positionen fest“.
Kommerziell verfügbare Satellitenbilder zeigen laut ISW, dass die Ukrainer in den letzten 96 Stunden schweres Gerät näher an Verbowe herangebracht haben. Der General erzählte im CNN-Interview, dass er einen großen ukrainischen Durchbruch erwarte, sobald die ukrainischen Streitkräfte Tokmak hätten. Das liegt gut 20 Kilometer südöstlich von den genannten aktuellen Kampforten entfernt.
(Quelle: ISW, 24.9.23, https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-september-23-2023 und: https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-russland-news-kiew-meldet-durchbruch-wichtiger-verteidigungslinie-an-der-suedfront-a-47240164-a364-478b-a521-8dfc8798b2ed )
Außerdem erklärte er, dass die ukrainischen Operationen den ganzen Winter über weitergehen werden, da die Ukrainer größtenteils zu Fuß vorrücken und schlechtes Wetter daher keine größeren negativen Auswirkungen auf die Gegenoffensive haben wird. Sein Kollege vom Militärgeheimdienst (GUR), Generalleutnant Kyrylo Budanov, äußerte eine ähnliche Einschätzung über denkbare Winteroperationen.
Das ISW glaubt ebenfalls, dass das saisonale Wetter zwar Bodenbewegungen verlangsamen und die Logistik herausfordern kann, aber kein endgültiges Ende der ukrainischen Gegenoffensive bedeuten wird. Zum Schluss noch mal eine Karte, die einen größeren Überblick gibt und ahnen lässt, um was es geht.
Von der Frontberichterstattung zu wirtschaftlichen Themen. Es ist schon verrückt, wie sich die Aktienbörsen der Welt auf ganz wenige Papiere kaprizieren. Allein das Trio Apple, Microsoft und Amazon in den USA bringt es derzeit auf einen Marktwert von gut 6.600 Milliarden Dollar. Das entspricht etwa 14 Prozent aller an der New York Stock Exchange und der Computerbörse Nasdaq gehandelten Papiere und fast sechs Prozent aller in der „World Federation of Exchanges“ (wfe) zusammengeschlossenen größeren Weltbörsen. Damit verbunden ist ein hohes Gewicht in den Indices. Was dazu führt, dass alle Anleger, die sich an den Top-Indices orientieren diese Titel im Portefeuille haben müssen, wenn sie nicht riskieren wollen, mit ihrer Performance hinter dem Marktdurchschnitt zurückzufallen.
Wer glaubt, dass beim (gemessen am Marktwert im Vergleich zu Amerika) Börsenzwerg Deutschland die Verhältnisse völlig andere sind, der irrt sich. Auch hierzulande machen drei Spitzenwerte (SAP, Airbus und Telekom) um die 17 Prozent des Gesamtmarktes aus. Nur dass dieses heimische Trio nicht so abstrus bewertet ist wie die US-Gegenstücke.
Apple kostet als wertvollstes Papier der Erde den 30-fachen Jahresgewinn, Microsoft den 33-fachen und Amazon gar den über 100-fachen. Im Vergleich dazu wirken die deutschen Top-Three mit bei SAP dem 15-fachen, Airbus dem 13-fachen und Telekom gar nur dem 12-fachen wie Restanten im Ramschregal. Und das Bild wird noch merkwürdiger, wenn man den heimischen Kreis auf ein halbes Dutzend verdoppelt, denn Siemens (11-fach), Allianz (siebenfach) und Mercedes (fünffach) sind noch billiger. By the way: dieses halbe Dutzend macht 31 Prozent des gesamten deutschen Marktwerts aus.
Nicht nur deutsche Spitzenwerte, sondern weltweit auch die kleinen Papiere, angelsächsisch Small-Caps, werden deutlich vernachlässigt. In den USA, die an den Aktienbörsen mit über 40 Prozent Anteil am gesamten Welt-Marktwert eindeutig den Ton angeben, sind die „Großen“ seit Anfang 1998 fast 30 Prozent schneller gelaufen als die „Kleinen“ (siehe rote Linie).
Nun schwankt die Beliebtheit von Small und Large Caps – wie man in der Kurve unten sieht – beachtlich. Aber insgesamt blieb halt vor allem seit Anfang 2021 ein Vorsprung der Großen, der zu einem beachtlichen Teil auf eine Handvoll „Superaktien“ zurückzuführen ist. Seit Jahren rätseln altgediente Börsianer, ob diese Konzentration auf so eine Auswahl gutgehen kann. Und die hohe Bewertung hat die Ängste nicht gerade schwinden lassen.
Doch bei solchen Börsenphänomenen gilt allgemein: sie dauern an, solange es dauert. Der Erfolg lockt nämlich immer mehr Anhänger in diese Papiere und deren Käufe treiben die Kurse weiter, was die Titel wiederum attraktiv erscheinen lässt. Solange dieser Mechanismus wirkt, interessiert die Bewertung kaum jemand. Die beste Werbung für Aktien sind nun mal steigende Kurse und nicht irgendwelche Kennzahlen. Und letztendlich wirkt nun jeder wie ein Idiot der schon vor ein paar Jahren auf eine scheinbare Überteuerung von Apple & Co. hingewiesen hat. Nur ganz risikolos geht es auch nicht für die Liebhaber dieser Papiere zu, denn irgendwann kann die Schwerkraft doch noch zuschlagen. Auch General Electric galt man als Fels in der Brandung, mit deren Aktie man nicht falsch machen konnte. Danach wurden dann die Zeiten rauer.
Zuletzt ein ganz anderes Thema. So richtig gefragt ist Deutschland international immer nur, wenn man einen Zahlmeister sucht. Das scheint umgekehrt dann auch für die große Rede vor der 78. UN-Vollversammlung zu gelten, die Olaf Scholz am Mittwoch dort in gewohnter Eloquenz (und zuweilen mit sekundenlangen Pausen) hielt.
(Quelle: taz, 20.9.23, https://taz.de/-Nachrichten-im-Ukrainekrieg-/!5961483&s=uno/ )
Man kann einen Saal auch leer reden. Aber den Vorwurf darf man dem Kanzler nicht machen – er war offenbar schon recht leer, als er dort zu reden anfing. Neben dauerhaften Knüllern wie Klimawandel und Ukrainekrieg präsentierte er vor der ausgedünnten Schar ein Potpourri an zündenden Ideen, wie etwa, dass Afrika in der Welt und Uno eine größere Rolle spielen müsse. Die Zuhörer werden sich emsig Notizen gemacht haben. Auch die deutsche Delegation wirkte bei den Kanzlerworten förmlich elektrisiert.
(Quelle: UN Web TV, 10:05, https://media.un.org/en/asset/k1o/k1opydj5g9 )
Vielleicht hat es ja hinter den Kulissen in New York spannende Gespräche gegeben, sein wir doch mal Optimisten, vernehmen konnte man auf den Bürgern zugänglichen Kanälen wie etwa UN Web TV davon nichts. Immerhin, die deutschen Teilnehmer scheinen ja erfolgreich per Regierungsflieger an den Hudson gelangt zu sein – heutzutage kann man das angesichts deren häufiger Pannen wohl schon als Erfolg werten.