Liebe Leser,
um den Ukrainekrieg ist es im Westen stiller geworden. Nach großer Sympathie und zeitweise auch Euphorie über die mutigen und erfolgreichen ukrainischen Truppen überwog zuletzt – auch in Washington – eher die Enttäuschung darüber, dass der erhoffte Durchbruch zum Schwarzen Meer wegen massiver russischer Verteidigungsstellungen bei der Sommeroffensive noch nicht gelungen sei.
Über das Wirrwarr an Kommentaren selbsternannter Militärexperten und abgehalfterter Bundeswehroffiziere ging ein bemerkenswerter Erfolg zum Teil unter: die Eroberung um den 22. August herum des Dorfes Robotyne. Das lag nicht nur hinter der ersten, gut ausgebauten russischen Verteidigungslinie, sondern war von den Russen auch mit den berühmten Zähnen und Klauen verteidigt worden. Was den Erfolg trübte, das völlig zerstörte Dörfchen liegt 90 Kilometer vom Asowschen Meer entfernt, das viele Beobachter als wichtiges Ziel ansehen, um die Aggressoren aus den besetzten Gebieten im Süden oder gar der von der Krim zu vertreiben.
(Quelle: Jan Kallberg, Ukraine – Victory Is Closer Than You Think, CEPA, 23.8.23, https://cepa.org/article/ukraine-victory-is-closer-than-you-think/ und: WELT, 29.8.23, https://www.welt.de/politik/ausland/plus247155266/Ukraine-An-diesem-Ort-zeigt-sich-ploetzlich-der-Erfolg-der-Gegenoffensive.html? )
Jan Kallberg vom „Center for European Policy Analysis (CEPA)“ in Washington schrieb indes unmittelbar im Anschluss an Eroberung von Robotyne eine für mich einleuchtend klingende Analyse. Seine These: die Ukrainer müssen gar nicht ans Meer vordringen, um die Russen in arge Bedrängnis zu bringen. Vielmehr würde es genügen, die Ost/West-Verbindungslinien per Straße oder Schiene (abgekürzt GLOCs z.B. Autobahn M14) weit hinter der Front in die Reichweite ihrer Fernwaffen (HIMARs) oder gar der kürzer, aber treffsicher schießenden Artillerie zu bringen.
Dafür aber wären nicht mühsame 80/90 Kilometer Weg zu durchkämpfen, sondern nur noch 10 bis 15 Kilometer zu gewinnen. Eine vorgeschobene Armee ohne ausreichenden Nachschub – vor allem im nächsten Winter – aber sei ein großer Nachteil und in dicken Schwierigkeiten. Kallberg fragt sich daher in seiner Untersuchung nach der dann für die Russen entstehenden Lage: „Werden sie in der Lage sein, ihre Operationen westlich von Melitopol aufrechtzuerhalten, wenn jeder Teil ihrer Kampfanstrengungen unter Beschuss steht?“
Ich will mich hier nicht zum Hobbygeneral aufschwingen, aber ich rate Ihnen bei Interesse mal die zwei unter der Karte angegebenen Links zu nutzen und sich die passende Texte durchzulesen. Mir klingen sie plausibel. Hier noch mal die bisherigen Verluste an schwerem Gerät, die ich Ihnen von Zeit zu Zeit in einer Tabelle vom Onlineportal ORYX auswerte. Die Ukrainer haben bislang mindestens (weil nur bestätigte Fälle zählen) 2.277 russische Panzer außer Gefecht gesetzt, das waren 2,8-mal so viele wie sie selbst verloren haben. Beim gesamten schweren Kriegsgerät war das Verhältnis gar 3,6:1 (siehe rote Markierung).
Themenwechsel. Wenn ich so in der Kneipe den Zuhörern meine Statistikkenntnisse aufdränge, dann glauben mir die wenigsten die folgende Angabe: im Gastgewerbe sind heute etwas mehr Leute sozialversicherungspflichtig beschäftigt als vor Corona. Daher hier noch einmal meine Übersicht zu den Beschäftigungszahlen aus dem Hause der Bundesanstalt für Arbeit. Ich habe Ihnen die Zeile mit den Hotels und Gaststätten mal rot unterlegt.
Richtig Stellen abgebaut haben neben der Industrie nur die Finanzdienstleister. Die „üblichen Verdächtigen“ beim Stellenzuwachs kennen Sie alle: Informatik, Verwaltung und Soziales. Warum man von denen so wenig zu sehen bekommt illustriert vielleicht eine Übersicht der Krankenstände im Öffentlichen Dienst von Berlin, die ein aufmerksamer Kollege aus twitter (heute X) gefischt hat.
Ich kann die Glaubwürdigkeit nicht überprüfen, weil da keine Primärquelle genannt ist, aber der von der staatlichen Verwaltung und der Hauptstadt nicht gerade mit Erfolgsmeldungen verwöhnte Bundesbürger glaubt es instinktiv sofort. Besonders kränklich scheinen demnach die Berliner Mitarbeiter beim aufreibenden Knöllchenverarbeiten und beim Ordnungsamt zu sein. Bei der Parkraumüberwachung feiert immer gut jeder Fünfte krank. Die Berliner Parker wird es freuen.
(Quelle: https://twitter.com/RZitelmann/status/1696183791608385713 und: destatis, https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-2/krankenstand.html )und: rbb, https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/08/berlin-krankenstand-oeffentlicher-dienst-hoechststand.html#:~:text=Der%20Krankenstand%20im%20Berliner%20%C3%B6ffentlichen,ganze%20Woche%20l%C3%A4nger%20als%202021.
Bundesweit üblich sind übrigens pro Nase 15,0 Krankheitstage. In den Berliner Ämtern und Dienststellen sollen es im Schnitt 41 Tage sein. Rechnen Sie mal die üblichen Urlaubszeiten dazu, die Wochenenden dazwischen und Feiertage, dann kommen sie auf gut drei Monate, die Senatsbedienstete jährlich weg wären, wenn sie diese Zeiten zu einem Block vereinen könnten. Bei der Knöllchenstelle wären es viereinhalb Monate. Wenn man da eine Halbtagsstelle hätte, könnte man auch von auswärts einen Zweitjob in Betracht ziehen und sich nicht überarbeiten.