Liebe Leser,
gleich zugegeben: den Abriss beim Neubau von Wohnungen mit der Amtszeit der zuständigen Ministerin Klara Geywitz (Jahrgang 1976) seit dem 8. Dezember 2021 zusammenzubringen ist ein wenig gemein. Denn Ukrainekrieg, Inflation und Zinsanstieg konnte sie weder vorhersehen, noch deren Auswirkungen auf die Bauplätze verhindern.
Und auch für das vollmundige Ziel der 2021 brandneuen Bundesregierung zum Neubau von jährlich 400.000 Wohnungen stand sie längst nicht allein. Aber so ist es mit dem Amtsinhaber, wenn es schief läuft, guckt halt jeder auf ihn. „Ich gehe nicht davon aus, dass die Zahl von 400.000 Wohnungen in den Jahren 2022 und 2023 erreichbar ist“, räumte die Klara denn auch schon Anfang des Jahres kleinlaut ein. Zumindest diese Prognose scheint mal aufzugehen. Im 1. Halbjahr wurden nur 111.540 neue Wohnungen genehmigt, 31 Prozent weniger als im gleichen Vorjahreszeitraum. Da wird es wohl 2023 eher auf die Hälfte der avisierten Neubauwohnungen hinauslaufen.
(Quelle: tagesschau, 23.1.23, https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/geywitz-wohnungsbauziel-101.html und: ZDF, 15.8.23, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/wohnraum-bauen-plattenbau-klara-geywitz-100.html )
Wie die meisten anderen Kabinettsmitglieder wirkt auch die in Potsdam geborene Ostdeutsche, wenn es um die bittere Realität geht, eher etwas hilflos. Ihr neustes Patentrezept: serielles Bauen. Ausgerechnet im Interview des ZDF aus Halle an der Saale antwortet sie auf die akute Wohnungsnot: „Deshalb müssen wir, auch wenn es wesentlich schwieriger geworden ist durch den Zinssprung, uns alle anstrengen, zum Beispiel durch seriellen Wohnungsbau, um schneller und preiswert zu bauen.“ Das dürfte ihre ostdeutschen Zuhörer an den „Plattenbau“ ihrer Heimat erinnert haben.
Guido Schwarzendahl, Vorstand des Bauvereins Halle & Leuna eG, der die Ministerin zu Gast hatte, zeigt den Journalisten nach dem ZDF-Interview in Halle Neustadt Bauten seiner Genossenschaft aus den 1960-er und 1970-er Jahren, die sogenannte „Platte“. Die teilmodernisierten Wohnungen kosten im Schnitt dort überaus günstige 4,30 Euro je Quadratmeter. Schwarzendahl meint daher, „die Platte“ rehabilitieren zu müssen: „Sie ist zu Unrecht in Verruf geraten. Sie ist nahezu das klimaschonendste und nachhaltigste, was man anbieten kann. Wir haben hier relativ kleine Wohnungsgrößen, wir haben hier insgesamt begrenzte Dimensionen, auch was Wohnungshöhe und so weiter betrifft und vielleicht noch ein ganz wesentlicher Punkt, wir sind in aller Regel hier fernwärmebeheizt.“
Mag ja sein, aber in heutigen Nachfahren des DDR-Plattenbaus könnte man beim Neubau auch keine 4,30 Euro Miete fordern. Das Problem ist doch heute nicht zuletzt, dass alles vom Material bis zum Handwerker viel teurer geworden ist, die Hypothek 3,5 Prozent mehr kostet und ein Wust von Vorschriften und Überwachungen den Bau behindert. Da dürfte Klaras Joker „Serieller Bau“ so eine Trostpflasterforderung sein.
Themenwechsel. Als Verschwörungstheoretiker könnte man den Eindruck gewinnen, eine rätselhaft verbundene „Elite“ aus Medien, Politik und Teilen der Wissenschaft habe sich aufgemacht, den Rest der Bevölkerung schleichend in den Wahnsinn zu treiben. Jüngstes Beispiel: der größte regionale öffentlich-rechtliche Sender der ARD, der Westdeutsche Rundfunk (WDR), warnt jetzt vor dem Alt-Komiker Otto Waalkes (Jahrgang 1948). Aber nicht vor seinen heutigen Blödeleien, sondern vor Scherzen von vor einem halben Jahrhundert. „Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden“, heißt es im Vorspann zu Shows aus den 1970-er Jahren. „Diskriminierende Sprache und Haltung“ könne in einem anderen Beitrag auftauchen. Vor Komik kann gar nicht genug gewarnt werden, entgegnet Otto ironisch und wundert sich: „Als ob es keine anderen Probleme gäbe als alte Otto-Scherze.“
(Quelle: WELT, 18.8.23, https://www.welt.de/vermischtes/article246960216/Otto-Show-WDR-zeigt-Warnhinweis-vor-Sendungen-des-Komikers.html?source=puerto-reco-2_ABC-V32.1.A_control und: BILD, https://www.bild.de/news/inland/news-inland/warnhinweis-vor-otto-waalkes-im-wdr-dann-warnt-doch-gleich-vor-heinz-erhardt-und-85081890.bild.html )
Nun könnte man das zweifellos auch locker sehen, was da möglicherweise ein übereifriger Redakteur verzapft hat. Auch wenn sich BILD-Kommentator Kai Feldhaus mit Recht wundert, ob man bei dieser Logik nicht auch vor anderen Humorikonen warnen müsste. So hatte Loriot, alias Viktor von Bülow (1923-2011), einen genervten Ehemann in seinem Sketch „Frühstücksei“ über die Gattin sagen lassen: „Ich bring sie um.“ Wäre da nicht eine Warnung fällig, dass man Ehefrauen doch besser am Leben lässt? Oder hatte der legendäre Wirtschaftswunderhumorist Heinz Erhardt (1909-1979) nicht einst in sexistischem Tonfall gehöhnt: „Frauen sind die Juwelen der Schöpfung, man muss sie mit Fassung tragen.“
An all diesen politisch korrekten Petitessen nervt mich am meisten das Menschenbild, das dahinter steht: die Bundesbürger sind blöd, man muss ihnen den rechten Weg auch im kleinsten Detail zeigen oder vor minimalsten Gefahren warnen. BILD-Mann Feldhaus hat das in folgendes Bild gekleidet: „Ich werde fortan die ‚Sendung mit der Maus‘ nur noch gemeinsam mit den Kindern gucken. Irgendjemand muss ihnen ja erklären, dass Mäuse sich gar nicht den Schwanz ausreißen können, um ihn als Strohhalm zu benutzen.“
Ein schönes anderes Beispiel für Dummbeutelei fand ich ohne großes Suchen in der Linkenpostille „taz“. Da ereifert sich der Autor der Kolumne „Postprolet“ namens Volkan Algar darüber, dass er für die Finanzierung seines Führerscheins in den Sommerferien in einer Fabrik für Türöffner in „erdrückender Monotonie“ Arbeit verrichten musste. Dann wurde er auch noch, wenn er „jeden Abend kaputt nach Hause kam“, von seinen Vater verhöhnt: „So ist das, Junge, jetzt weißt du, was arbeiten bedeutet.“
(Quelle: taz, 18.8.23, https://taz.de/In-Fabrik-oder-Gastro/!5950303/ )
Und heute weiß der Volkan, was man mit der Zeit in der Fabrik viel besser hätte anfangen können: „Es sind verlorene Wochen, in denen ich wie andere hätte reisen, mich selbst kennenlernen, mir Gedanken über meine Zukunft machen oder einfach lernen können, wie man richtig Urlaub macht.“ Dann hätte er allerdings auch keinen frühen Führerschein gehabt.
Aber ein taz-Redakteur wäre kein aufrechte Linker, wenn er für dieses Problem nicht leichten Rat wüsste: „Wohlhabende, deren Kinder vielleicht auch mal einen Ferienjob machen, aber nicht arbeiten müssen, um sich den Führerschein oder die Studienfahrt zu leisten, (sollten) eine Feriensteuer zahlen. Mit diesem Geld sollen die Jugendlichen, die sonst arbeiten müssen, ihren Führerschein finanzieren. Oder einfach mal Urlaub machen“ meint der Volkan und ergänzt, überhaupt „sollte Lohnarbeit durch Minderjährige verboten werden“.
Der Typ hat wohl meine Kolumne vom 10. August nicht gelesen, in dem ich Sie auf eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aufmerksam gemacht habe. Danach gibt es ein Paradox: je reicher die Eltern, desto eher arbeiten Jugendliche in Aushilfsjobs.
„Feriensteuer“, Arbeitsverbot, ich frage mich nur, warum solche Detailwut? Am besten sollten die Menschen doch gar nicht arbeiten, sondern sich, siehe oben, „selbst kennenlernen“ und „Gedanken über die Zukunft machen“. Arbeiten sollten nur die Reichen, damit sie was verdienen, was man ihnen wegnehmen kann. Merken Sie was, diese ganz kruden Gedankengänge kommen wie die Otto-Warnung alle aus derselben Kiste.