Liebe Leser,
es war so bewegend losgegangen. Als im Januar 2022 Friedrich Merz (Jahrgang 1955) mit fast 95 Prozent Zustimmung zum Parteivorsitzenden der CDU gewählt worden war, zeigte er sich „tief bewegt und beeindruckt von diesem Wahlergebnis“ an. Die Partei erwarte nun „starke Führung und klaren Kurs“, so der Wunschkandidat der eher konservativen und wirtschaftsorientierten CDU-Mitglieder und Anhänger.
(Quelle: FAZ, 22.1.22, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/friedrich-merz-zum-cdu-vorsitzenden-gewaehlt-17745882.html )
So richtig viel bewegt hat Merz seither nicht, wenn man mal von der Auswechslung seines glück- und profillosen Generalsekretärs Mario Czaja (Jahrgang 1975) durch den eloquenteren Carsten Linnemann (Jahrgang 1977) am 12. Juli dieses Jahres absieht. Da glaubten schon wieder einige konservative Daueroptimisten, nun sei mit einem Aufbruch zu rechnen, vielleicht sogar stärker an den Rand der rechten Mitte.
Doch der Parteichef und möglicherweise Kanzlerkandidat bleibt sich seiner Wahrnehmung als politischer Wackelpudding treu. Immer wenn er mal so etwas zum Besten gibt, das in Richtung rechts statt grün gedeutet oder missdeutet werden könnte, rudert er schnellstmöglich wieder zurück. Jetzt hat Merz einen Geschwindigkeitsrekord bei seinen Kehrtwenden aufgestellt.
Am Sonntag hatte er im ZDF-Sommerinterview zum wiederholten Mal bekräftigt, dass seine Union nicht mit der AfD kooperieren werde. Ob als Versuchsballon oder Taktiererei beschränkte er dies nun aber auf „gesetzgebende Körperschaften“, etwa auf europäischer, Bundes- oder Landesebene. Mehr noch, er kam auch mit Beispielen über: wenn in Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister von der AfD gewählt würden, wären das demokratische Wahlen, so Merz. „Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“ Was er genau meinte, blieb im Interview offen.
Doch der doch eigentlich von einem altgedienten Politiker zu erwartende Aufschrei blieb nicht aus. Neben den üblichen rot/grünen Verdächtigen maulte selbst CSU-Chef Markus Söder (Jahrgang 1967) und schloss eine Kooperation mit der AfD auch auf kommunaler Ebene aus: „Die CSU lehnt jede Zusammenarbeit mit der AfD ab – egal auf welcher politischen Ebene“, so der bayerische Ministerpräsident auf Twitter.
Und prompt war Merz wieder auf Linie. Ebenfalls auf Twitter stellte er schon um 9:05 Uhr am Montag richtig: „Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.“ Keine Zusammenarbeit in den Kommunen – muss „in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet“. Was sind denn das dann für Wege?
(Quelle: FAZ, 24.3.23, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/cdu-politiker-distanzieren-sich-von-merz-aeusserungen-zur-afd-19054401.html )
Jetzt gibt es doch eigentlich nur zwei Möglichkeiten:
- Merz hat sich da etwas verhaspelt und rein verbal hat er ja auch wirklich nicht von einer Zusammenarbeit gesprochen.
- Das war ein Versuchsballon, ob man sich nicht doch an die AfD mit aller gebotenen Vorsicht heranschleichen könne.
Sein Grunddilemma ist doch, dass die Roten und Grünen sich bis hin zur SED-Nachfolgerin LINKE alle zusammenrotten können, er aber neben sich eine starke AfD hat, mit der man eine Liaison kategorisch ausschließt. Klar, dass ihn das wurmen muss. Zusammen hätte man – je nach Umfrage – 46 bis 48 Prozent der Wählerstimmen, die Ampelkoalition bringt es derzeit einschließlich ihrer Anleihe im bürgerlichen Lager FDP auf acht bis neun Prozent weniger. Selbst wenn die LINKE wieder in den Bundestag käme, könnte sie diesen derzeitigen Rückstand nach augenblicklicher Umfragelage nicht ausgleichen.
(Quelle: Wahlrecht, 24.7.23, https://www.wahlrecht.de/umfragen/ )
Und ist doch klar, auf wessen Kosten der Höhenflug der AfD – zumindest auch – geht: die nimmt der CDU am rechten Rande von Merkel und nun auch von Merz Enttäuschte ab. Verständlich, dass Merz das schmerzt. Aber mit dieser Hin- und Herwackelei wird das nicht besser, vor allem, wenn das so stümperhaft wirkend daherkommt. Arme CDU, auf die man als Bürgerlicher doch eigentlich mangels Alternative seine Hoffnungen setzen müsste.
Weit leichteres Thema. Endlich hat es Berlin mal geschafft, selbst in den fernen USA beachtet zu werden. NBC News: „Eine großangelegte Polizeiaktion zur Suche nach einem entlaufenen Löwen nahe Berlin – an der Wärmebildkameras, Hubschrauber, Tierärzte und schwer bewaffnete Jäger beteiligt waren – ist am Freitag auf ein Problem gestoßen: Es gibt gar keinen Löwen.“
Und die „New York Times“ erzählte launig: „Die deutschen Behörden haben die verzweifelte Suche nach einer freilaufenden Löwin, die in Berlin für Panik gesorgt hatte, beendet. Es war unklar, wo ein Löwe hätte herkommen können, da er in Deutschland nicht heimisch ist. Obwohl es in der Gegend Zoos, Tierschutzzentren und Zirkusse gibt, sagte die Polizei, habe keiner eine vermisste Löwin gemeldet. Andere machten sich über das Chaos lustig, und Emmes gab es zuhauf.“
Auch im benachbarten Frankreich sorgte die Berliner Großaktion für Schmunzeln. So schrieb die Zeitung „Libération“: „Die Bürger von Kleinmachnow können ihre Dackel wieder hervorholen. Es besteht keine Gefahr mehr, dass die Löwin, die von Donnerstag bis Freitag 30 Stunden lang von über 300 Polizisten gesucht wurde, ihr Haustier frisst.“ Nun ja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Wenn das kein Sommerloch-Thema war, dann weiß ich es nicht.
Am Montag ging dann ein Aufatmen durch die Hauptstadt: die gefundenen Kotspuren stammen nach einem vorläufigen Untersuchungsergebnis von einem Pflanzenfresser und die Haarprobe nicht von einem Löwen. Weiterhin offen bleibt indes, was da nun für ein Tier durch die Wälder streift.
Gott sei Dank hat das (Nicht)Ereignis wenigstens für eins gesorgt: der Humor blüht auch hierzulande. Einem fleißigen und sammelfreudigen Leser verdanken wir diese kleine Auswahl an Scherzen auf Kosten meiner Geburtsstadt an der Spree.
(Quelle: Tagesspiegel, 22.7.23, https://www.tagesspiegel.de/berlin/falscher-alarm-es-ist-nur-ein-wildschwein-internationale-pressestimmen-zur-wende-in-der-lowensuche-10194637.html und: https://www.tagesspiegel.de/berlin/erste-ergebnisse-nach-lowensuche-in-kleinmachnow-gefundene-spuren-stammen-von-einem-pfanzenfresser-10198966.html
P.S. Hier noch ein Schmankerl aus der sonstigen deutschen Verwaltung, das mir eine Leserin zugeschickt hat. Sie zahlt ihre Kfz-Steuer noch traditionell per Überweisung und nicht mit Einzugsermächtigung. Hier nun ihr Erlebnis mit einer Behörde wie sie immer schon war:
„Nachdem ich ordnungsgemäß 135 € dieses Jahr pünktlich bezahlt habe, erhielt ich eine Mahnung über 7,—Euro (Porto wurde von der Behörde bezahlt ). Auf diese Mahnung habe ich dann einen Dreizeiler per Mail!!!! geschrieben und um Erlass gebeten. Nun erreichte mich das zugeschickte Einschreiben per Rückschein von der Zollbehörde mit Rechtsbehelfsbelehrung, dass keine 7,— Euro, sondern wundersamer Weise nur noch 5,— Euro offen sind 😆😆😆😆. Dieses Schreiben war mit 5,70 € Porto versehen worden. 🥲🥲🥲 Die Verwaltung kennt keine Grenzen.“
Hinzufügen muss man vielleicht noch, dass der Zollbeamte oder dort Angestellte zu diesem Vorgang einen Brief von gut zwei Seiten verfasst hat, um die Absenkung von sieben Euro Säumniszuschlag auf inzwischen ab 2018/19 nur noch fünf Euro näher zu begründen. Doch man muss die Sache wohl positiv sehen: Wenn dieser Zollmensch zur Steuerfahndung versetzt würde und eine Tages vor der Tür stünde, da würde man sich doch nach den zwei Euro Erlass zurücksehnen.