Liebe Leser,
seit meiner Jugend lese ich die Publikation der Bundesbank „Saisonbereinigte Wirtschaftszahlen“. Vor Urzeiten stapelten sich diese gedruckten Berichte mit unzähligen Tabellen und feingegliederten Grafiken in meinem damaligen Kinderzimmer. Inzwischen hat die Bundesbank den Druck eingestellt, so dass es nur noch virtuelle Papierberge gibt. Die Wälder werden es danken. Beim heutigen Blick in diese Darstellungen kann einem Angst und Bange werden. Teile der Volkswirtschaft sind hierzulande im freien Fall. Waren beim preisbereinigten Auftragseingang im Hochbau vom 3. Quartal 2021 bis zum 1. Quartal 2022 noch Indexwerte von 130,0 angesagt, sind es in den ersten vier Monaten 2023 nur noch 93,1 gewesen – ein Minus von immerhin gut 28 Prozent. Besonders erwischte es dabei den Wohnungsbau, wie die folgende Grafik in der unteren Kurve zeigt.
(Quelle: Bundesbank, https://www.bundesbank.de/de/statistiken/konjunktur-und-preise/-/saisonbereinigte-wirtschaftszahlen-804168?contentId=804138#anchor-804138 )
Doch auch in anderen Branchen haute es ganz schön rein. Beispiel. Noch zum Jahreswechsel 2021/2022 konnten sich die heimischen Chemieunternehmen preisbereinigt über neue Orders mit einem Indexwert von 115 freuen, redeten wir im März/April 2023 über 89 Punkte – ein Minus von satten 23 Prozent. Ich will sie an einem – voraussichtlich sonnigen – Samstagmorgen hier gar nicht mit endlosen Zahlenvergleichen langweilen. Nur so viel zusammenfassend: die im Bruttoinlandsprodukt der letzten beiden Quartalen noch sehr zaghafte Minirezession dürfte sich in den kommenden Monaten nach den Frühindikatoren deutlich vertiefen.
Die gute Seite dessen aus Börsianersicht: da wird wohl in Bälde die Inflationsdiskussion abflauen. Die war nämlich der Ausgangspunkt der Straffung durch die Europäische Zentralbank (EZB). Schwindende Inflationsgefahren könnten dann in den Mienen der Zentralbanker und -bankerinnen für Entspannung sorgen. Zwar sollen sie nach alter Bundesbankmanier nicht auf die Konjunktursorgen, sondern auf die Geldwertstabilität achten, aber erstens sitzen bei der EZB inzwischen auch Entscheider, die dieses althergebrachte Credo nicht mehr ganz so verinnerlicht haben und zweitens signalisiert eine Rezession auch Abwärtsdruck auf die Preise. Und fremd werden die Indikatoren den EZB-Leutchen kaum sein, sie brauchen ja nur in ihren eigenen EZB-Computer schauen, siehe oben.
Themenwechsel. Währenddessen geht das Leben der ökologisch Korrekten unbelastet von solchen trüben Gedanken weiter. Es kann allerdings anderweitig kompliziert sein. Wie etwa das von Laura Cwiertnia (Jahrgang 1987). Sie ist seit August 2021 stellvertretende Ressortleiterin im Ressort „Green der ZEIT“. Sie schreibt dort vor allem über „Klima und Protest, Armut und Ungleichheit, Spanien und Lateinamerika“. Da ist es klar, dass ihr ein Problem auf den Nägeln brannte: „Ich horte Pfandbecher. Mindestens 10 solcher Becher standen zuletzt auf meinem Schreibtisch.“ Was böse Folgen hatte: „Ich zögerte, morgens auf dem Weg ins Büro überhaupt noch einen Kaffee zu holen.“
Doch die Ökowelt hält für solche Schwierigkeiten Lösungen parat: Cupffee, eine Becher-Alternative aus Keksteig. Das Trinkgefäß aus „natürlicher Haferkleie“ und Weizenmehl kann man nach dem Trunk einfach auffuttern, laut Hersteller „der perfekte Snack mit nur 56 bzw. 105 kcal“ je nach Größe. Selbst der italienische Kaffeeerbe Giuseppe Lavazza soll bei einem Tennisturniers in Wimbledon mit der verstorbenen Königin Elisabeth II. aus dem Cupffee-Becher geschlürft haben. Ein Heureka-Moment für Laura und das wollte sie natürlich gleich ausprobieren.
Doch damit begann eine Kette ökologischer Probleme. Über den Preis von 57 Cents pro Becher hätte man angesichts der anstehenden Weltrettung noch hinwegkommen können. Aber das zugeschickte Paket kam aus Plovdiv in Bulgarien, also 2.000 Kilometer, da zu weit für das Lastenfahrrad wohl mit dem Diesel-Lkw. Doch damit nicht genug, die 10 Becher stecken in einem riesigen Paket, waren noch einmal in Pappe verpackt sowie in eine Plastiktüte eingeschweißt, jeder für sich umhüllt von einem Streifen bedruckten Papiers.
Wenn es dann wenigstens schmeckt, aber Lauras Geschmackstest für den Becher fiel ernüchternd aus: statt wie ein leckerer Keks, schmeckte er „genauso, wie er aussieht: wie Pappe“. Nun hatte die Journalistin genug und schmiss die verbleibenden Becher in den Mülleimer. Doch der echte Ökologiefreak gibt naturgemäß nicht auf: den Pfandbecher-Turm hat Laura nun brav zurück ins Café gebracht. Mehr noch, da sie neuerdings die meiste Zeit im Homeoffice zubringt, kocht sie sich den Kaffee wie Oma dazumal für die eigene Porzellantasse.
Es gibt übrigens auch essbare Löffel. Schon beim Kauf von 1.500 Stück kostet so ein Ding bei der Metro inklusive Mehrwertsteuer nur noch knapp 16 Cents. Da können Sie Gäste einladen und knuspern lassen bis alle pappensatt sind. Oder damit den Kaffee im essbaren Becher rühren, wenn Ihnen Pappgeschmack nichts ausmacht.
(Quelle: zeit-online, 21.6.23, https://www.zeit.de/2023/23/kaffee-becher-pfand-plastik-cupffee-nachhaltigkeit und: https://www.metro.de/marktplatz/product/3b68b754-2105-482b-a759-0b682a78b13d?mfeed_oid=305a6209-c529-4355-b7a5-575fccb8def3&utm_source=connexity&utm_medium=cpc&utm_campaign=connexity_css&cnxclid=16874517011370380084612011000008005&itm_pm=cookie_consent_accept_button )
Ich sage Ihnen: in der neuen Welt wird alles schön.