Liebe Leser,
dass die Krypto„währungen“ ein Eldorado für zwielichtige Gestalten sein würden, ist wohl allen kundigen Betrachtern halbwegs klar gewesen. Ist ja auch ein tolles Geschäftsmodell: ich denke mir eine „Währung“ aus, in die dann irgendwelche Simpel ihre echten Dollars und Euros tauschen. Und kein Mensch prüft, was damit geschieht.
Aber was da jetzt an Dreistigkeit auf der einen und Leichtgläubigkeit auf der anderen Seite offenbar zu werden beginnt, übertrifft doch noch die Vermutungen. Eine schöne Zusammenfassung des Zwischenstands lieferte kürzlich ein Artikel in der angesehenen „New York Times“ mit dem übersetzten Titel: „Ihr Krypto-Unternehmen ist zusammengebrochen. Sie gingen nach Bali.“
(Quelle: David Yaffe-Bellany, TECHNOLOGY. Their Crypto Company Collapsed. They Went to Bali, NYT, 9. Juni 2023, https://www.nytimes.com/search?query=Three+arrows)
Vor etwa einem Jahr implodierte „Three Arrows Capital“, eine Art Krypto-Hedgefonds von Kyle Davies und Su Zhu (beide Jahrgang 1987). Sie waren von hunderttausenden Twitter-Followern für ihre Cleverness und ihre kühnen Prognosen über den Markt (Bitcoin steigt auf eine Million Dollar) bekannt geworden. Die Insolvenz zog die ganze Branche mit nach unten und kostete die investierten „Anleger“ hunderte von Millionen. Im Gegensatz dazu scheint es Davies und Zhu gut zu gehen. Sie verließen Singapur, wo „Three Arrows“ seinen Sitz hatte, und reisten durch Asien: Davies begann zu meditieren, malte in Cafés und las am Strand Hemingway, Zhu spielte Videospiele und verfeinerte seine Surfkenntnisse.
Bis zu vier Milliarden Dollar soll ihr Fonds nach Angaben der „New York Times“ in der Spitze verwaltet haben. Jetzt fahndet der Insolvenzverwalter nach eintreibbaren Außenständen. Immerhin schuldet „Three Arrows“ seinen Gläubigern über drei Milliarden Dollar. Da das Unternehmen auf den Britischen Jungferninseln registriert ist, sind die vom Gericht bestellten Liquidatoren dort tätig. Und behaupten, dass Davies und Zhu sich geweigert haben, beim Sanierungsprozess mitzuarbeiten, was die natürlich bestreiten. Letzten Oktober berichtete die amerikanische Nachrichtenagentur Bloomberg, dass US-Aufsichtsbehörden Untersuchungen in der Sache Davies/Zhu anstellen würden.
Man muss eigentlich die Chuzpe (Duden: Dreistigkeit, Unverschämtheit) bewundern: im April haben die beiden „Open Exchange“ vorgestellt, einen Marktplatz für „Anleger“, die bei Krypto-Pleiten Geld verloren haben. Kunden sollen dort Ansprüche auf die Insolvenzmasse von nicht mehr existierenden Kryptofirmen wie FTX und möglicherweise auch ihrer ehemals eigenen „Three Arrows“ handeln können.
Die Kryptounternehmer haben schon vor ihrer segensreichen Tätigkeit in diesem schillernden Finanzsektor ein buntes Vorleben geführt. In ihrer Jugend im Nordosten der USA besuchten sie gemeinsam die High School in Andover, Massachusetts. Mitte der 2000-er Jahre wurden sie dann Geschäftspartner, während sie noch an der Columbia University studierten. Selbst aktuell sehen die noch so aus, dass ich ihnen keine großen Beträge anvertrauen würde.
Im Sommer nach ihrem ersten Studienjahr eröffneten sie im argentinischen Buenos Aires in einem Café ein Geschäft bei dem sie Arbeitern ihre Kenntnisse beim Online-Poker beibringen wollten. Ihr Plan, eine ganze Armee von proletarischen Profispielern mit Know-how auszurüsten, hatte ein fatales Manko: keiner von ihnen sprach Spanisch. Sie waren fälschlicherweise davon ausgegangen, dass argentinische Arbeiter Englisch verstehen würden.
Nach ihrem Uni-Abschluss arbeiteten die beiden bei der „Spieler-Bank“ Credit Suisse, bevor sie 2012 mit Mitte 20 „Three Arrows“ gründeten und mit dem Handel von Finanzprodukten begannen, die an Fremdwährungen gekoppelt waren. Doch die große Stunde schlug erst 2019, als sie ihren Schwerpunkt auf die Kryptowährungen verlegten. Zwei Jahre später, als die Kryptopreise auf Rekordniveau kletterten, verwalteten Davies und Zhu Dollarmilliarden, investierten in Krypto-Start-ups und borgten sich Hunderte Millionen, um noch größere Einsätze tätigen zu können. Zhu verfolgten auf Twitter eine halbe Million Follower, denen er seine Weisheiten eines Krypto-„Superzyklus“ darbot, in dem der Preis des Bitcoins auf über eine Million Dollar steigen würde.
Kollege Davies erklärte ganz offenherzig, er betrachte das gesamte Unternehmen kaum anders als ein Online-Spiel: „Wenn man sehr gut im Spiel ist, verdient man viel Geld.“ Was für die Initiatoren geklappt zu haben scheint. Medienberichten zufolge gab Zhu 35 Millionen Dollar für einen Bungalow in einem Nobelviertel von Singapur aus. Mit dem Kollegen Davies zusammen wurde eine luxuriöse Yacht für 30 Millionen Dollar in Auftrag gegeben, die zum Beispiel auf einer Etage einen Hydrokulturgarten beherbergen sollte, eine Erweiterung, die von Zhus Frau, einer Biologin und begeisterten Gärtnerin, gewünscht wurde. Das Superboot wurde dann mangels Restzahlungen anderweitig verkauft.
Das muntere Spiel dauerte bis 2022 an. Doch dann steuerte der Kryptomarkt in die Krise. In Singapur hatten Zhu und Davies Kontakt zum Schöpfer von Luna, dem Südkoreaner Do Kwon (Jahrgang 1991), aufgenommen und kauften ihm im Februar 2022 Luna-Token im Wert von 200 Millionen US-Dollar ab. Drei Monate später verlor diese Fantasiewährung innerhalb weniger Tage ihren gesamten Wert. Der Absturz ließ den Preis aller wichtigen Kryptos einbrechen, was bei vielen anderen Wetten von „Three Arrows“ zu dicken Problemen führte.
Was besonders fatal war, weil nun Kreditgeber hunderte Millionen Dollar zurückhaben wollten, die der Fonds nicht mehr hatte. Zu einem Zeitpunkt versuchte er, 5.000 Bitcoin im Wert von damals 125 Millionen Dollar von der Krypto-Kreditfirma Genesis zu leihen, um einen separaten Kredit an einen anderen Gläubiger zurückzuzahlen, was nicht klappte.
Die Auswirkungen der Firmenimplosion waren unmittelbar und weitreichend. Einer der größten Gläubiger von „Three Arrows“, die Kryptobank „Voyager Digital“, die dem Fonds 700 Millionen geliehen hatte, wurde dadurch zahlungsunfähig und die Ersparnisse seiner Kunden verschwanden im digitalen Orcus. Ende Juni ernannte ein Gericht auf den Britischen Jungferninseln Liquidatoren des Beratungsunternehmens Teneo, um „Three Arrows“ zu übernehmen.
Der Aufenthaltsort der Gründer war wochenlang unbekannt und die Insolvenzverwalter beschwerten sich vor Gericht, dass Davies und Zhu wichtige Unterlagen zurückgehalten hätten. Während einer Telefonkonferenz im Juli erschienen die Gründer mit ausgeschalteten Kameras auf Zoom und schwiegen, als die neuen Chefs sie wiederholt befragten, wie aus einem Bericht der Liquidatoren laut „New York Times“ hervorgeht. Davies und Zhu behaupten, sie hätten die Unterlagen dem neuen Management übergeben.
Natürlich darf auch eine Verschwörungstheorie nicht fehlen. Davies behauptete beim US-Sender CNBC, dass ein anderer Pleitier, Sam Bankman-Fried (Jahrgang 1991 / im nächsten Bild rechts der mit dem Wuschelkopf) mit seiner Kryptobörse FTX die Märkte absichtlich manipuliert habe, um „Three Arrows“ zu schaden. Als der Moderator Davies fragte, ob er inzwischen nach Bali gezogen sei, weil Indonesien kein Auslieferungsabkommen mit den USA habe, antwortet er: „Nein, es ist einfach ein guter Ort zum Leben.“
Vielleicht eine Anregung für andere Kryptoinitiatoren. Denn mittlerweile wird die Luft in diesem Bereich dünner. Gegen Changpeng Zhao (Jahrgang 1977), den Boss der weltweit größten Krypto-Börse Binance, laufen in den USA strafrechtliche Ermittlungen und es droht eine Klage der „Securities and Exchange Commission“. Bankman-Fried, Gründer der FTX-Börse, steht im Haus seiner Eltern in Palo Alto, Kalifornien, unter Hausarrest und wartet auf einen Prozess wegen Betrugsvorwürfen. Do Kwon, der südkoreanische Unternehmer, der die gescheiterte Kryptowährung Luna geschaffen hat, wurde im Frühling in Montenegro festgenommen, nachdem er den Behörden monatelang entwichen war.
Währenddessen erfreut sich Kyle Davies angenehmer Freiheit, von Anklagen in der weiten Welt gegen ihn ist derzeit nichts bekannt. Einem Journalisten vertraute er nach einem opulenten Abendessen in Barcelona an, er habe darüber nachgedacht, in die Branche der künstlichen Intelligenz einzusteigen: „Ich würde gerne glauben, dass ich zwei weitere Unternehmen gründen kann. Aber ich bin auch damit einverstanden, dass ich zu diesem Zeitpunkt vollständig im Ruhestand bin.“ Und gab – während er strahlte – noch einen Tipp: „Wenn jemand Probleme hat, gehen Sie einfach nach Bali.“ „Dann“, so der „New York Times“-Artikel, „drehte er sich leicht schwankend um und ging in die Nacht.“